Die Larve
darauf ankommen, und am nächsten Abend waren wir wieder high wie das Postgirohochhaus. Wir verkauften die Hälfte des Lagers, nahmen den Rest mit, liehen uns ein Auto und fuhren nach Kristiansand. Ließen Sinatra in voller Lautstärke laufen, I Got Plenty Of Nothing , und das war verflucht wahr. Wir hatten ja nicht einmal einen Führerschein. Zum Schluss sang auch Oleg, aber nur, um Sinatra und mich zu übertönen, meinte er. Wir lachten, tranken lauwarmes Bier, und alles war irgendwie wie früher. Wir checkten im Ernst Hotel ein, was aber nicht so schrecklich war, wie es sich anhörte. Als wir allerdings an der Rezeption fragten, wo in der Stadt die Dealer stünden, ernteten wir nur einen dummen Gesichtsausdruck. Oleg hatte mir von dem Festival erzählt, das es in dieser Stadt mal gegeben hatte, das aber von irgendeinem selbsternannten Guru an die Wand gefahren worden war, weil er Bands verpflichtet hatte, die so cool waren, dass er sie sich gar nicht leisten konnte. Trotzdem behaupteten die frommen Christen der Stadt noch immer, dass die Hälfte der Einwohner zwischen achtzehn und fünfundzwanzig nur wegen dieses Festivals drogenabhängig geworden sei. Wir fanden aber keine Junkies, latschten einfach im Dunkeln durch die Fußgängerzone und sahen einen – einen! – Besoffenen, dafür aber vierzehn Ten-Sing-Chöre, die von uns wissen wollten, ob wir Jesus begegnen wollten.
»Wenn er Violin will, gerne«, sagte ich.
Aber Jesus wollte vermutlich nicht, weshalb wir zurück ins Hotel gingen und uns noch einen Gute-Nacht-Schuss setzten. Ich habe keine Ahnung, warum, aber wir sind in diesem Kaff geblieben. Taten nichts, waren high und sangen Sinatra. Einmal bin ich nachts davon wach geworden, dass Oleg mit einem Scheißköter auf dem Arm über mir stand. Er sagte, er sei vom Quietschen irgendwelcher Bremsen draußen auf der Straße wach geworden und habe aus dem Fenster gesehen, und da habe dieser Hund auf der Straße gelegen. Ich riskierte einen Blick. Das Vieh sah nicht gut aus. Wirklich nicht. Wir waren uns dann auch bald einig, dass das Rückgrat des Tieres gebrochen sein musste. Sein Fell war zottig, und er hatte zahlreiche alte Wunden. Der Arme schien in seinem Leben reichlich Prügel bezogen zu haben, weiß Gott, ob von seinem Besitzer oder von anderen Hunden. Aber irgendwie war der Köter trotzdem süß. Er sah mich mit seinen braunen, ruhigen Augen an, als könnte ich alles wieder geradebiegen. Also versuchte ich es. Gab ihm zu essen und zu trinken, tätschelte seinen Kopf und redete mit ihm. Oleg meinte, wir müssten mit dem Hund zu einem Tierarzt, aber ich wusste, was der tun würde. Also behielten wir das Tier im Hotelzimmer, hängten das Bitte-nicht-stören-Schild an die Tür und ließen ihn im Bett liegen. Wir schliefen abwechselnd und wachten über die Atmung des Hundes. Er lag einfach nur da, wurde wärmer und wärmer, während der Puls immer schwächer wurde. Am dritten Tag gab ich ihm einen Namen. Rufus. Also, ich meine, warum nicht? Es ist doch gut, einen Namen zu haben, wenn man sterben muss.
»Der leidet«, sagte Oleg. »Der Tierarzt schläfert die mit einer Spritze ein. Das soll überhaupt nicht weh tun.«
»Niemand spritzt irgendein billiges Tierdope in Rufus«, sagte ich und schnippte mit dem Finger gegen die Spritze.
»Bist du verrückt?«, fragte Oleg. »Das ist Violin für zweitausend Eier.«
Schon möglich, aber Rufus hat diese Welt immerhin auf einem First-Class-Trip verlassen.
Ich meine mich daran zu erinnern, dass es auf der Rückfahrt bewölkt war. Auf jeden Fall hat Sinatra nicht gesungen.
Wieder zurück in Oslo, hatte Oleg eine Scheißangst, was passieren würde. Ich selbst war merkwürdig gelassen. Als wüsste ich, dass der Alte uns nichts antun würde. Wir waren zwei harmlose Junkies auf dem Weg nach unten. Pleite, arbeitslos und schließlich auch ohne Violin. Oleg hatte herausgefunden, dass der Begriff »Junkie« mehr als hundert Jahre alt war. Er stammte aus der Zeit, in der die ersten Heroinabhängigen Wrackmetall aus dem Hafen von Philadelphia gestohlen und es dann verkauft hatten, um sich so ihren Stoff zu finanzieren. Genau damit fingen Oleg und ich jetzt auch an. Wir kletterten nachts auf die Baustellen in Bjørvika und stahlen, was wir fanden. Kupfer und Werkzeug waren wie Gold. Das Kupfer verkauften wir an einen Trödler in Kalbakken, das Werkzeug an ein paar Handwerker aus Litauen.
Aber je mehr Leute auf unsere Idee aufsprangen, desto höher wurden die Zäune und
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