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Die Larve

Die Larve

Titel: Die Larve Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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entzündet hatte, dafür sprach der pulsierende, dumpfe Schmerz. Aber mit seiner jahrelangen Erfahrung aus dem Dezernat für Gewaltverbrechen wusste er auch noch mehr. Die Polizei hatte mit Sicherheit den Barkeeper und die Gäste in dieser Nirvana-Kneipe verhört und so erfahren, dass derjenige, der den Messermann getötet hat, selbst tiefe Wunden in Hals und Kinn davongetragen hat. Ohne Zweifel wurden die Ambulanzen der Stadt überwacht, und auch die Praxen dürften mittlerweile informiert worden sein. Und wenn er sich in diesem Moment eines nicht leisten konnte, dann in Untersuchungshaft zu wandern.
    Sie streichelte über seine Schulter zum Hals und wieder zurück. Über seine Brust. Er dachte, dass sie jetzt sein Herz spüren musste und dass sie wie dieser Pioneer-Fernseher war, den sie nicht mehr produzierten, weil er einfach zu gut war. Denn nur bei diesem Gerät war das Schwarze im Bild für alle erkennbar auch wirklich schwarz gewesen.
    Harry hatte eines der Fenster gekippt. Richtig öffnen konnte man sie nicht, das Hotel schien keine Selbstmörder zu wollen. Trotzdem drang der Lärm des Verkehrs bis hinauf zu ihnen in die neunzehnte Etage, unterbrochen von vereinzeltem Hupen und den leisen Klängen eines verirrten, vielleicht aus einem der Nachbarzimmer herüberklingenden Sommerhits.
    »Bist du dir sicher, dass du das willst?«, fragte er, ohne auch nur zu versuchen, seine Heiserkeit zu überspielen. Sie standen sich gegenüber, sie mit der Hand auf seiner Schulter, während ihre Blicke sich bewachten, wie bei einem konzentrierten Tango.
    Sie nickte.
    So kosmisch und intensiv schwarz, dass es einen magisch anzog.
    Er merkte gar nicht, dass sie den Fuß hob und damit die Tür zustieß. Nur das Klicken hörte er, den Klang eines teuren Hotels, unendlich weich wie ein Kuss.
    Während sie miteinander schliefen, dachte er nur an das Schwarz und an den Duft. Das Schwarz ihrer Haare, ihrer Brauen und Augen. Und den Duft des Parfüms, dessen Namen er nie erfragt hatte, das aber wie ein Teil von ihr war. Es steckte in ihren Kleidern, war in ihrem Kleiderschrank und hatte auch auf seine eigenen Kleider abgefärbt, als diese Seite an Seite mit den ihren im Schrank gehangen hatten. Wie auch auf die, die jetzt hier im Zimmer im Schrank hingen. Auch diese Kleider hatten in ihrem Kleiderschrank gehangen. Sie war nicht zu Hans Christian nach Hause gefahren, um sie dort zu holen, sondern hatte sie einfach aus ihrem Schrank genommen und war damit zu ihm gekommen. Möglicherweise, ohne dass der andere etwas davon ahnte. Aber Harry sagte nichts. Er wusste zu genau, dass er sie nur geliehen hatte. Bloß für diesen Augenblick, und dass er sich damit zufriedengeben musste. Also hielt er den Mund. Liebte sie, wie er sie immer geliebt hatte, intensiv und langsam. Ließ sich von ihrer Gier und Ungeduld nicht anstecken, sondern machte es so tief und langsam, dass sie ihn abwechselnd verfluchte und ihr der Atem stockte. Nicht weil er dachte, dass sie es so wollte, sondern weil er es so wollte. Gerade weil er sie nur geliehen hatte, nur für diese wenigen Stunden.
    Als sie kam, plötzlich erstarrte und ihn paradoxerweise gekränkt ansah, kamen ihm all ihre gemeinsamen Nächte in Erinnerung. Am liebsten hätte er gelacht.
    Danach teilten sie sich eine Zigarette.
    »Warum wolltest du mir nicht sagen, dass ihr zusammen seid?«, fragte Harry, inhalierte und reichte ihr die Zigarette.
    »Weil … wir das nicht sind. Das ist nur eine … vorübergehende Notlösung.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht. Ich weiß gar nichts mehr. Ich sollte mich mit nichts und niemandem mehr abgeben.«
    »Er ist ein guter Mann.«
    »Das ist er, ja. Ich brauche einen guten Mann, aber warum will ich dann keinen? Warum sind wir so verflucht irrational? Wir wissen doch eigentlich, was gut für uns ist?«
    »Der Mensch ist eine pervertierte, kranke Art«, sagte Harry. »Und Heilung gibt es nicht, allenfalls Linderung.«
    Rakel schmiegte sich an ihn. »Das mag ich so an dir, du bist so ein unerschütterlicher Optimist.«
    »Ich erachte es als meine Aufgabe, überall Sonnenschein zu verbreiten, Liebste.«
    »Harry?«
    »Hm.«
    »Gibt es einen Weg zurück? Ich meine, für uns?«
    Harry schloss die Augen. Lauschte auf die Herzschläge. Seine und die ihren.
    »Nicht zurück.« Er wandte sich ihr zu. »Aber wenn du das Gefühl hast, noch ein bisschen Leben vor dir zu haben …«
    »Meinst du das im Ernst?«
    »Das ist doch alles nur dummes Geschwätz,

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