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Die Larve

Die Larve

Titel: Die Larve Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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einer Vernissage, ich weiß es nicht mehr. Das ist einfach so. Rufen Sie doch Mikael an und fragen Sie ihn, wann das war. Aber vielleicht nicht gerade heute Abend, ich glaube, sie wollten einen Familienabend machen. Wirklich … das ist einfach so.«
    Es ist einfach so. Harry starrte sie an.
    »Und was ist mit Truls Berntsen?«
    »Mit wem?«
    »Das ist ihr Brenner, nicht wahr? Wer hat ihn ins Leons geschickt, ihn beauftragt, sich um mich zu kümmern? Waren Sie das? Oder Dubai?«
    »Von was in Gottes Namen reden Sie da?«
    Harry sah es ihr an. Sie hatte wirklich keine Ahnung, wer Truls Berntsen war.
    Isabelle Skøyen begann zu lachen. »Jetzt sehen Sie nicht so betreten aus, Harry.«
    Er könnte jetzt in dem Flugzeug nach Bangkok sitzen. Auf dem Weg in ein anderes Leben sein.
    Er ging bereits zur Tür.
    »Warten Sie, Harry.«
    Er drehte sich um. Sie lehnte an der Toilettentür und hatte ihr Kleid hochgezogen. So hoch, dass er die Strapse sah, die ihre Strümpfe festhielten. Eine blonde Locke war in ihre Stirn gefallen.
    »Wo wir die Toilette doch ganz für uns haben …«
    Harry begegnete ihrem Blick. Er war benebelt. Nicht vom Alkohol und auch nicht von ihrer Geilheit, da war noch etwas anderes. Weinte sie? Die harte, einsame, sich selbst verachtende Isabelle Skøyen? Und wennschon? Sie war nur ein weiterer verbitterter Mensch, der bereit war, das Leben anderer in Schutt und Asche zu legen, um zu bekommen, was er für sein angestammtes Recht hielt: Liebe.
    Die Tür schwang hin und her, nachdem Harry gegangen war, glitt wie ein anschwellender, letzter Applaus schneller und schneller über die Gummileiste.
    Harry ging über die Passerelle zurück zum Bahnhof und dann über die Treppen zur Plata. Die rund um die Uhr geöffnete Apotheke auf der anderen Straßenseite war immer so voll, dass er es gar nicht erst versuchte, außerdem fürchtete er, dass rezeptfreie Pillen bei weitem nicht ausreichten, um den Schmerzen Einhalt zu gebieten. Er lief am Heroinpark vorbei und bog in die Prinsens gate ein. Es hatte zu regnen begonnen, und das Licht der Straßenlaternen fiel weich auf die nassen Straßenbahnschienen. Noch einmal ging er den ganzen Fall durch. Nybakks Flinte oben in Oppsal war am einfachsten aufzutreiben. Außerdem hatte sie die breiteste Streuung. Um an das Gewehr hinter dem Schrank des Zimmers 301 zu kommen, musste er es ungesehen ins Leons schaffen, außerdem wusste er ja nicht einmal, ob sie die Waffe nicht längst gefunden hatten. Andererseits würde ein Schuss aus dieser Waffe der Sache wohl ein für alle Mal ein Ende bereiten.
    Das Schloss zum Hinterhof des Leons war frisch aufgebrochen. Harry vermutete, dass die beiden Anzugträger, die ihm ihre Aufwartung gemacht hatten, dafür verantwortlich waren.
    Harry ging weiter und fand, dass immer mehr für seine Annahme sprach, denn auch die Hoftür des Leons war aufgebrochen worden.
    Er stieg die Treppe hoch, die als Notausgang diente. Auf dem Flur der zweiten Etage war niemand zu sehen. Er klopfte an die Tür des Zimmers 310, um Cato zu fragen, ob die Polizei oder irgendwelche anderen Leute da gewesen waren. Und was sie gewollt hatten oder er ihnen erzählt hatte. Aber niemand öffnete. Er legte das Ohr an die Tür. Stille.
    Die Tür seines eigenen Zimmers war nicht einmal ansatzweise repariert worden, so dass er keinen Schlüssel brauchte. Er streckte die Hand durch das Loch und öffnete. Unter der Tür, wo er die Holzschwelle entfernt hatte, war Blut in den trockenen Zement gezogen.
    Auch das Fenster war noch nicht repariert worden.
    Harry schaltete das Licht nicht ein. Er betrat den Raum und schob die Hand hinter den Schrank. Sie hatten das Gewehr nicht gefunden, und auch die Schachtel Patronen lag noch immer neben der Bibel in der Schublade des Nachtschränkchens. Die Polizei konnte also nicht da gewesen sein. Das Leons, seine Bewohner und Nachbarn hielten es offensichtlich nicht für notwendig, den Arm des Gesetzes wegen ein paar laschen Schrotladungen zu bemühen, jedenfalls nicht, wenn es keine Leiche gab. Er öffnete den Schrank. Sogar seine Kleider und der Lederkoffer waren noch da, als wäre nichts geschehen.
    Harry bemerkte die Frau auf der anderen Seite des Hofes.
    Sie saß auf einem Stuhl vor dem Spiegel und hatte ihm ihren nackten Rücken zugewandt. Es sah so aus, als kämmte sie sich die Haare. Sie trug ein rückenfreies Kleid, das seltsam altmodisch wirkte. Nicht alt, aber altmodisch, wie ein frisch geschneidertes Kostüm aus einer anderen Zeit.

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