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Die Larve

Die Larve

Titel: Die Larve Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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sagte Beate und öffnete die Tür. »Man konnte einfach reinspazieren. Wir haben ein neues angebracht, damit die Junkies nicht zurückkommen und alle Spuren vernichten.«
    Harry nickte. Das war typisch. Ein Schloss machte in Wohnungen, in denen mehrere Junkies zusammenlebten, einfach keinen Sinn. Die Tür würde ohnehin gleich wieder aufgebrochen werden. Zum einen, weil ständig irgendwelche anderen Junkies auf der Suche nach Dope einbrachen, und zum anderen, weil auch die Bewohner ihr Bestes taten, um sich gegenseitig zu bestehlen.
    Beate hielt das Absperrband auseinander, und Harry tauchte hindurch. An den Haken im Flur hingen Kleider und Plastiktüten. Harry warf einen Blick in eine. Küchenrollenkerne, leere Bierdosen, ein T-Shirt mit Blutflecken, Reste von Alufolie und ein leeres Zigarettenpäckchen. In einer Ecke des Raumes stapelten sich leere Pizzakartons. Der schiefe Grandiosa-Turm reichte schon halb bis zur Decke. Daneben standen vier weiße, vollständig identische Garderobenständer. Harry stutzte einen Moment, doch dann wurde ihm klar, dass die aus irgendeinem Einbruch stammen mussten und vermutlich unverkäuflich waren. Er wusste, dass man in Junkie-Wohnungen immer irgendwelche Sachen fand, von denen die Bewohner gedacht hatten, sie ließen sich zu Geld machen. Einmal hatten sie in einer Tasche sechzig hoffnungslos veraltete Handys gefunden, ein andermal mitten in der Küche ein halb auseinandergebautes Moped.
    Harry ging ins Wohnzimmer. Es roch nach einer Mischung aus Schweiß, biergetränktem Holz, nasser Asche und etwas Süßem, das Harry nicht zuzuordnen wusste. Der Raum war im herkömmlichen Sinne unmöbliert, am Boden lagen aber vier Matratzen wie um ein Lagerfeuer herum. Unter einer der Matratzen ragte ein zu einem Neunzig-Grad-Winkel gebogener Stahldraht mit einem Y am Ende hervor. Das Dielenviereck zwischen den Matratzen war schwarz vor Brandflecken. In der Mitte stand ein leerer Aschenbecher. Harry nahm an, dass die Spurensicherung diesen geleert hatte.
    »Gusto lag hier an der Küchenwand«, sagte Beate. Sie hatte sich in die Türöffnung zwischen Wohnzimmer und Küche gestellt und streckte den Arm aus.
    Statt in die Küche zu treten, blieb Harry auf der Türschwelle stehen und sah sich um. Das war eine Angewohnheit. Er unterschied sich damit ebenso von den Kriminaltechnikern, die an der Peripherie begannen und sich Stück für Stück zu der Leiche vorarbeiteten, wie von den Beamten der Kriminalwache oder der Polizeistreifen, die häufig als Erste an einen Tatort kamen und darauf achten mussten, den Ort nicht mit ihren eigenen Spuren zu kontaminieren oder vorhandene Spuren zu zerstören. An diesem Tatort hatten Beates Leute aber längst alles getan, was getan werden musste. Harrys Angewohnheit war typisch für einen taktischen Ermittler. Er wusste, dass er nur eine Chance hatte, den ersten Eindruck auf sich wirken zu lassen und sich die unauffälligen, kleinen Details einzuprägen. All das musste jetzt geschehen, bevor der analytische Teil seines Hirns, der fertig formulierte Fakten forderte, wieder das Kommando übernahm. Harry pflegte Intuition als eine einfache, logische Schlussfolgerung zu definieren, die auf simplen Sinneseindrücken basierte, die das Hirn nicht in Klartext zu übertragen vermochte.
    Aber dieser Tatort erzählte Harry nicht viel über den Mord, der hier geschehen war.
    Alles, was er sah, hörte und roch, war ein Ort, an dem Menschen mehr oder weniger zufällig zusammengekommen waren. Hier war gefixt worden, geschlafen, gegessen, ehe die Bewohner dann wieder in irgendein anderes Loch verschwunden waren, ein Zimmer in einem Hospiz, einen Park, einen Container, einen billigen Daunenschlafsack unter einer Brücke oder eine weißlackierte Kiste unter einem Grabstein.
    »Wir mussten hier natürlich ein bisschen aufräumen«, sagte Beate als Antwort auf seine unausgesprochene Frage. »Hier war überall Müll.«
    »Dope?«, fragte Harry.
    »Eine Plastiktüte voller unausgekochter Baumwollbäuschchen«, sagte Beate.
    Harry nickte. Die härtesten, finanziell angeschlagensten Junkies hoben die Baumwolle auf, durch die sie das Dope wie durch einen Filter in die Spritze saugten. Ging es ihnen richtig dreckig, konnten sie noch immer die Baumwolle aufkochen und sich den Sud injizieren.
    »Plus einem Kondom mit Sperma und Heroin darin.«
    »Oh?« Harry zog die Augenbrauen hoch. »Ist das zu empfehlen?«
    Harry sah sie rot werden und dachte an die schüchterne, kleine Polizistin, als die

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