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Die Larve

Die Larve

Titel: Die Larve Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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an!«
    »Der ist einfach nicht ängstlich genug. He, Baosj , zieh dir die Spritze auf.«
    »Was soll das denn, Rage?«
    »Halt dein Maul!«
    »Ey, chillax , Mann. Warum bist du denn so wütend?«
    »Ich glaube, es hat Rage nicht gefallen, dass du seinen Namen genannt hast«, sagte Harry.
    »Und du hältst die Klappe! Los, Spritze aufziehen! Und du nimmst aus deiner Tüte!«
    Harry hatte nie selbst Stoff geschmolzen oder sich injiziert, jedenfalls konnte er sich nicht daran erinnern. Aber er hatte Opium genommen und wusste, dass es darauf ankam, den Stoff erst einmal in die flüssige Form zu bringen, damit man ihn in eine Spritze ziehen konnte. Das sollte doch nicht so schwer sein? Er hockte sich hin und schüttete das Pulver auf die Alufolie. Ein paar Krümel landeten auf dem Boden, und er befeuchtete einen Finger, sammelte die Körnchen auf und rieb sie sich ins Zahnfleisch. Spielte ihnen Vorfreude vor. Es schmeckte bitter wie die anderen Pulver, die er während seiner Laufbahn als Polizist bei irgendwelchen Razzien beschlagnahmt hatte. Aber er nahm auch noch einen anderen Geschmack wahr, diffus und kaum zu erkennen. So etwas wie Ammoniak. Nein, nicht Ammoniak. Irgendwas wie überreife Papaya. Er machte das Feuerzeug an und vertraute darauf, dass sie seine Unbeholfenheit darauf zurückführten, dass er eine Pistole an der Schläfe hatte.
    Zwei Minuten später hielt er eine fertig aufgezogene Spritze in der Hand.
    Rick Ross hatte seine Gangster-Coolness wiedergefunden. Er hatte die Ärmel bis zu den Ellenbogen hochgeschoben und posierte breitbeinig, mit verschränkten Armen und leicht nach hinten geneigtem Kopf vor Harry.
    »Los, feure sie ab!«, befahl er, zuckte zusammen und hob abwehrend die Hand. »Nicht du, Rage!«
    Harry sah die beiden an. Rick Ross hatte keine Wunden auf seinen nackten Unterarmen, und auch Rage sah ein bisschen zu konzentriert aus. Harry pumpte die linke Faust zweimal zu seiner linken Schulter, schnippte mit dem Finger auf den Unterarm und führte die Spritze in dem vorgeschriebenen Dreißig-Grad-Winkel ein. Er hoffte, dass es für jemanden, der sich selbst nicht spritzte, professionell genug aussah.
    »Aaaah«, stöhnte Harry.
    Professionell genug, damit niemand auf die Idee kam, dass die Spitze der Spritze nicht in einer Arterie, sondern bloß im Fleisch steckte.
    Er rollte mit den Augen, und seine Knie gaben nach.
    Professionell genug, damit sie auf den gefakten Orgasmus hereinfielen.
    »Vergesst nicht, Dubai Bescheid zu geben«, flüsterte er, taumelte auf die Straße und weiter in Richtung Schloss.
    Erst in der Dronningens gate richtete er sich auf.
    In der Prinsens gate kam die verspätete Wirkung. Ein paar Partikel des Stoffs hatten Blut gefunden und über den Umweg der Kapillargefäße sein Hirn erreicht, aber das alles war nur wie das entfernte Echo eines Schusses direkt in die Arterie. Trotzdem spürte Harry, wie sich Tränen in seine Augen pressten. Es war wie die überraschende Vereinigung mit einer Geliebten, von der man geglaubt hatte, man würde sie niemals wiedersehen. Seine Ohren füllten sich mit himmlischer Musik, er spürte ein beinahe göttliches Licht und kapierte in diesem Moment, warum sie das Zeug Violin nannten.
    Es war zehn Uhr abends, und im Dezernat für Organisierte Kriminalität lagen fast alle Büros im Dunkeln. Der Flur war verwaist, doch in Truls Berntsens Büro warf der PC -Bildschirm noch immer sein blaues Licht auf den Kommissar, der die Füße auf den Tisch gelegt hatte. Er hatte fünfzehnhundert Kronen auf City gesetzt und lief Gefahr, diese zu verlieren. Aber eine Chance hatten sie noch, einen Freistoß. Achtzehn Meter und Tévez.
    Als er hörte, dass die Tür geöffnet wurde, zuckte sein rechter Zeigefinger automatisch zur Escape-Taste. Aber es war zu spät.
    »Ich hoffe nur, dass du den Live-Stream nicht aus unserem Budget bezahlst.«
    Mikael Bellman setzte sich auf den zweiten Stuhl im Raum. Truls war aufgefallen, dass Bellman immer weniger Dialekt sprach, je weiter er auf der Karriereleiter nach oben kletterte. Nur wenn er mit Truls redete, war noch zu hören, dass sie beide in Manglerud aufgewachsen waren.
    »Hast du die Zeitung gelesen?«
    Truls nickte. Da es nichts anderes zu lesen gegeben hatte, hatte er dieses Mal sogar mehr als nur den Sportteil und die wenigen Mitteilungen über die aktuellen Kriminalfälle gelesen. Sogar die Fotos der Senatssekretärin Isabelle Skøyen hatte er sich angesehen. Seit dem VG -Interviewporträt im letzten Sommer

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