Die Larve
Schmetterlinge, chinesischen Schriftzeichen und farbenfrohen norwegischen Drachen hielt, die er gutgenährten Jugendlichen verpasste, die in ihrer Dutzendware irgendein tolles Statement sahen.
»Sollen wir dann anfangen?«, fragte der Tätowierer.
Sergej zögerte einen Augenblick. Der Tätowierer hatte recht, es eilte. Sergej hatte sich selbst die Frage gestellt, warum es so eilte und er nicht damit warten konnte, bis der Polizist tot war? Eine Antwort lag auf der Hand: Sollte er nach der Tat gefasst werden und in ein norwegisches Gefängnis kommen, in dem es keine Tätowierer wie in Russland gab, musste er diese Tätowierung verdammt noch mal haben. Daran führte kein Weg vorbei.
Sergej wusste aber auch, dass seine Eile noch ganz andere Gründe haben konnte.
Wollte er das Tattoo vor dem Mord haben, weil er tief in seinem Inneren Angst hatte? So große Angst, dass er selbst daran zweifelte, dieser Aufgabe wirklich gewachsen zu sein? Ließ er sich die Botschaft bereits jetzt eintätowieren, um alle Brücken einzureißen und sich der Möglichkeit eines Rückziehers zu berauben, so dass er den Mord ganz einfach ausführen musste? Kein sibirischer Urka würde es ertragen, mit einer in die Haut eingeritzten Lüge herumzulaufen, das verstand sich von selbst. Außerdem hatte er sich gefreut, wirklich gefreut , woher also kamen diese Gedanken? Woher?
Oder lag auch das auf der Hand?
Fürchtete er sich, weil der Dealer, der Junge in dem Arsenal-Trikot, plötzlich in seinen Träumen auftauchte?
»Fangen Sie an«, sagte Sergej.
Kapitel 17
D er Arzt meinte, Oleg ist in ein paar Tagen wieder auf dem Damm«, sagte Rakel. Sie lehnte mit einer Tasse Tee in der Hand am Kühlschrank.
»Dann muss er aber an einen Ort verlegt werden, an dem ihn wirklich niemand finden kann«, sagte Harry.
Er stand an ihrem Küchenfenster und blickte nach unten auf die Stadt, wo sich der Nachmittagsverkehr langsam, wie eine unendlich lange Lichtschlange, durch die Hauptstraßen schob.
»Die Polizei hat doch so ein Zeugenschutzprogramm«, sagte sie.
Rakel war nicht hysterisch geworden, sondern hatte die Tatsache, dass jemand mit einem Messer auf Oleg losgegangen war, gefasst aufgenommen. Als hätte sie so etwas beinahe erwartet. Doch Harry sah auch die Verbitterung in ihrem Gesicht, die Bereitschaft zu kämpfen.
»Aus dem Gefängnis kommt er sicher nicht, aber ich kann mit dem Staatsanwalt über eine Verlegung reden«, sagte Hans Christian Simonsen. Er war sofort gekommen, als Rakel ihn angerufen hatte, und saß jetzt mit Schweißflecken unter den Ärmeln seines Hemdes am Küchentisch.
»Vielleicht kann man die offiziellen Kanäle umgehen«, sagte Harry.
»Wie?«, fragte der Anwalt.
»Nun, die Türen waren nicht verschlossen, daraus kann man doch wohl ableiten, dass mindestens einer der Wärter in die Sache verwickelt ist. Wer, wissen wir nicht, es könnte jeder sein.«
»Sind Sie jetzt nicht ein bisschen paranoid?«
»Paranoia kann Leben retten«, sagte Harry. »Kriegen Sie das hin, Simonsen?«
»Ich werde sehen, was sich machen lässt. Und was ist mit dem Ort, an dem er sich jetzt befindet?«
»Er ist im Ullevål-Krankenhaus. Ich habe dafür gesorgt, dass er von zwei Polizisten bewacht wird, denen ich vertraue. Eine Sache noch: Der Typ, der Oleg angegriffen hat, liegt im selben Krankenhaus, er wird anschließend aber verschärfte Haftbedingungen bekommen.«
»Brief- und Besuchsverbot?«, fragte Simonsen.
»Genau. Können Sie irgendwie rausfinden, was er bei der Polizei oder bei seinem Anwalt aussagt?«
»Das wird nicht leicht werden.« Simonsen kratzte sich am Kopf.
»Vermutlich kriegen die eh kein Wort aus ihm heraus, aber versuchen Sie es auf jeden Fall«, sagte Harry und knöpfte sich den Mantel zu.
»Wohin willst du?«, fragte Rakel und legte ihm die Hand auf den Arm.
»Zur Quelle«, sagte Harry.
Inzwischen war es acht Uhr abends, und der Verkehr in der Hauptstadt des Landes mit den kürzesten Arbeitszeiten war längst zur Ruhe gekommen. Der Junge, der unten an der Ecke der Tollbugata auf der Treppe stand, hatte die Nummer 23. Arshavin. Er trug überdimensionierte, weiße Air-Jordan-Joggingschuhe. Seine Girbaud-Jeans war frisch gebügelt und so kräftig gestärkt, dass sie beinahe von alleine stehen konnte. Das Komplettprogramm, bis ins Detail kopiert aus dem letzten Rick-Ross-Video. Harry zweifelte nicht daran, dass er auch die richtige Unterhose vorweisen konnte, wenn er die Hose runterließ. Narben von Messerstichen
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