Die Larve
Gesicht versammelt hatten. Torkildsens Blick glitt über Harrys Kragen.
»Yuki … Nakazawa?«
»Klaus.« Harry lächelte gewinnend und breitete die Arme aus, als wollte er ihn umarmen.
»Was zum Teufel tun Sie hier?«, fragte Klaus Torkildsen.
Harry ließ die Arme wieder sinken. »Auch mir ist es eine echte Freude, Sie zu sehen.«
Er setzte sich auf seinen angestammten Platz am Rand des Schreibtisches. Dort hatte er immer gesessen. Eindringen und sich eine Übermacht verschaffen. Einfach und effektiv. Herrschertechnik. Torkildsen schluckte, und Harry sah große, blanke Schweißtropfen auf seiner Stirn heranwachsen.
»Das Handynetz in Trondheim«, knurrte Torkildsen und nickte in Richtung Telefon. »Der Server hätte schon letzte Woche so weit sein sollen. Man kann den Menschen heute echt nicht mehr vertrauen. Ich habe wenig Zeit, also, was wollen Sie?«
»Die Liste der Gespräche von und zu Gusto Hanssens Telefon ab Mai.« Harry nahm einen Stift und schrieb den Namen auf einen gelben Post-it-Zettel.
»Ich bin operationeller Leiter, ich arbeite nicht mehr im normalen Betrieb.«
»Nein, aber die Nummern können Sie mir trotzdem noch beschaffen.«
»Haben Sie eine Autorisation?«
»Dann hätte ich doch wohl den Dienstweg genommen, oder?«
»Und warum wollte der Staatsanwalt das nicht genehmigen?«
Der alte Torkildsen hätte es nicht einmal gewagt, eine solche Frage zu stellen. Der Mann war mutiger geworden. Hatte mehr Selbstvertrauen. Ob das an seiner höheren Position lag? Oder hatte es andere Gründe? Harry entdeckte die Rückseite eines Bilderrahmens, der auf dem Schreibtisch stand. Eines dieser privaten Bilder, damit man nicht vergaß, dass man jemanden hatte. Wenn das kein Hund war, musste es sich wohl um eine Frau handeln. Vielleicht sogar Kinder. Wer hätte das gedacht? Hatte der alte Blitzer doch tatsächlich jemanden gefunden.
»Ich arbeite nicht mehr bei der Polizei«, sagte Harry.
Torkildsen musste lächeln. »Und trotzdem wollen Sie diese Telefondaten?«
»Ich brauche nicht viel. Nur dieses eine Telefon.«
»Und warum sollte ich das tun? Wenn herauskommt, dass ich solche Informationen an eine Privatperson gegeben habe, fliege ich raus. Und es ist leicht nachzuvollziehen, dass ich da was überprüft habe.«
Harry antwortete nicht.
Torkildsen lachte verbittert. »Ich verstehe. Es geht um das alte, feige Druckmittel. Wenn ich nicht bereit bin, Ihnen diese Infos illegal zu verschaffen, sorgen Sie dafür, dass meine Kollegen von der alten Sache erfahren.«
»Nein«, sagte Harry. »Nein, ich will nicht petzen. Ich bitte Sie nur um einen Gefallen, Klaus. Es ist privat. Der Sohn meiner ehemaligen Lebensgefährtin läuft Gefahr, unschuldig verurteilt zu werden. Lebenslänglich.«
Harry sah Torkildsens Doppelkinn zucken, und der Impuls breitete sich wie eine Welle im Fett aus, bis sie sich nach unten in der großen Körperfülle verlief. Harry hatte Klaus Torkildsen noch nie beim Vornamen genannt. Torkildsen sah Harry an. Blinzelte. Konzentriert. Die Schweißtropfen auf seiner Stirn glitzerten, und Harry konnte förmlich beobachten, wie Torkildsens Hirn zu rechnen begann, für und wider abwog und schließlich zu einem Ergebnis kam. Torkildsen hielt ihm die Handflächen hin und lehnte sich auf dem unter seinem Gewicht ächzenden Stuhl zurück.
»Tut mir leid, Harry. Ich hätte Ihnen wirklich gerne geholfen. Aber zurzeit kann ich mir diese Art von Mitgefühl wirklich nicht leisten. Ich hoffe, Sie verstehen das?«
»Natürlich«, sagte Harry und rieb sich das Kinn. »Das ist vollkommen verständlich.«
»Ich danke Ihnen«, sagte Torkildsen sichtlich erleichtert und begann mit den Armen zu rudern, um irgendwie aufzustehen. Offensichtlich wollte er Harry aus dem Glaskäfig und damit aus seinem Leben lotsen.
»Nun«, sagte Harry. »Wenn Sie mir diese Daten nicht beschaffen, werden nicht nur Ihre Kollegen von dem Vorfall erfahren, sondern auch Ihre Frau. Haben Sie inzwischen eigentlich auch Kinder? Ja? Ein oder zwei?«
Torkildsen sank wieder in seinem Stuhl zusammen und starrte Harry ungläubig an. Da war er wieder, der alte, zitternde Klaus Torkildsen. »Sie … Sie haben gesagt … dass Sie nicht …«
Harry zuckte mit den Schultern. »Tut mir leid. Aber zurzeit kann ich mir diese Art von Mitgefühl wirklich nicht leisten.«
Es war abends, zehn nach neun, und das Restaurant Schrøder war etwa zur Hälfte gefüllt.
»Ich wollte nicht, dass du wieder bei mir im Büro aufkreuzt«, sagte Beate.
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