Die Larve
»Heimen hat angerufen und erzählt, dass du nach Telefondaten gefragt hast, und irgendwie war ihm auch zu Ohren gekommen, dass du bei mir warst. Er hat mich davor gewarnt, den alten Gusto-Fall wieder auszugraben.«
»Aha«, sagte Harry. »Schön, dass du hierhin kommen konntest.« Er bekam Augenkontakt mit Nina, die am anderen Ende des Lokals Bier servierte. Er hielt zwei Finger hoch. Sie nickte. Es war drei Jahre her, dass er zuletzt hier gewesen war, aber die Zeichensprache ihres alten Stammgastes verstand sie noch immer. Ein Bier für die Begleitung, einen Kaffee für den Alkoholiker.
»Konnte dir dein Kumpel helfen? Hast du Gustos Telefonverbindungen?«
»Ja, er war mir eine große Hilfe.«
»Also, was hast du herausgefunden?«
»Gusto muss am Schluss in finanziellen Schwierigkeiten gewesen sein, sein Vertrag ist mehrmals gesperrt worden. Er hat nicht viel telefoniert, vor allem ein paarmal kurz mit Oleg. Hin und wieder hat er auch mit seiner Stiefschwester gesprochen, dieser Irene, aber diese Gespräche hörten dann plötzlich ein paar Wochen vor seinem Tod auf. Ansonsten galten die meisten Telefonate dem PizzaXpress. Ich fahre nachher zu Rakel hoch und google die restlichen Namen. Was kannst du mir über die Analyse sagen?«
»Der Stoff, den du gekauft hast, ist beinahe identisch mit den früheren Violin-Proben, die wir analysiert haben. Es gibt aber einen kleinen Unterschied in der chemischen Zusammensetzung, und dann sind da noch die kleinen braunen Partikel.«
»Ja?«
»Es handelt sich dabei um kein aktives pharmazeutisches Mittel, sondern ganz einfach um eine Glasur, wie man sie bei Tabletten verwendet. Du weißt schon, damit sie leichter zu schlucken sind und nicht so scheußlich schmecken.«
»Ist es möglich, über diese Glasur den Hersteller zu ermitteln?«
»Theoretisch schon. Ich habe das überprüft, tatsächlich ist es aber so, dass die Arzneimittelhersteller in der Regel ihre ganz eigenen Glasuren verwenden, es gibt also mehrere Tausend Hersteller.«
»Über den Weg kommen wir also nicht weiter?«
»Nicht über die Glasur allein«, sagte Beate. »Auf der Innenseite der Glasur waren aber noch Reste des ursprünglichen Wirkstoffs. Und das ist Methadon.«
Nina brachte den Kaffee und das Bier. Harry bedankte sich, und sie verschwand wieder.
»Ich dachte, Methadon wäre flüssig und käme in Flaschen?«
»Das Methadon, das in den Methadon-Therapien angewendet wird, ist flüssig. Ich habe deshalb im St. Olavs Hospital angerufen. Die forschen da mit Opioiden und Opiaten und konnten mir sagen, dass Methadontabletten in der Schmerztherapie zur Anwendung kommen.«
»Und in Violin?«
»Sie haben mir gesagt, dass es durchaus möglich ist, dass modifiziertes Methadon bei der Produktion zur Anwendung kommt, ja.«
»Das heißt aber nur, dass das Violin nicht von Grund auf verändert worden ist. Was hilft uns das?«
»Das kann uns sehr wohl helfen«, sagte Beate und legte ihre Hände um das Bierglas. »Es gibt nämlich nur sehr wenige Hersteller von Methadontabletten. Und einer davon ist hier in Oslo.«
» AB ? Oder Nycomed?«
»Das Radiumhospital. Die haben eine eigene Forschungsabteilung, die eine Methadonpille gegen extreme Schmerzen entwickelt habt.«
»Krebs?«
Beate nickte. Die eine Hand führte das Bierglas zum Mund, während die andere etwas hervorholte und vor Harry auf den Tisch legte.
»Aus dem Radiumhospital?«
Beate nickte nur.
Harry nahm die Pille in die Hand. Sie war rund und klein, und in der braunen Glasur prangte ein eingestanztes R.
»Weißt du, was ich glaube, Beate?«
»Nein.«
»Ich glaube, Norwegen hat eine neue Exportware.«
»Du meinst im Ernst, dass Norwegen Violin produziert und exportiert?«, fragte Rakel. Sie lehnte mit verschränkten Armen im Türrahmen von Olegs Zimmer.
»Es deutet auf jeden Fall einiges darauf hin«, sagte Harry und tippte den nächsten Namen von Torkildsens Liste ein. »Zum einen scheint die Sache von Oslo auszugehen. Niemand bei Interpol hatte von Violin auch nur gehört, bevor es hier in Oslo aufgetaucht ist, und erst jetzt kriegt man das Zeug auch in Schweden und Dänemark auf der Straße. Zum anderen sind in dem Zeug kleingehackte Methadonpillen, die aus Norwegen stammen. Darauf könnte ich verflucht noch mal wetten.« Harry startete eine weitere Suche. »Und es gibt auch noch einen dritten Grund. Neulich ist ein Pilot am Osloer Flughafen mit Stoff geschnappt worden, es könnte sich dabei um Violin gehandelt haben, aber das Zeug
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