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Die Larve

Die Larve

Titel: Die Larve Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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immer wach und starrte auf seine letzte Zigarette. Auf dem Boden die Gardine und die dünne Nylonschnur. Auf der anderen Seite des Innenhofs tanzte eine Frau in ihrer Wohnung. Ein lautloser Walzer ohne Partner. Harry lauschte der Stadt und sah dem Rauch nach, der langsam zur Decke stieg. Studierte die verschlungenen Wege, die er nahm, die vordergründig so zufälligen Figuren, die er beschrieb, und versuchte, ein Muster darin zu erkennen.
    Kapitel 19
    Nach dem Treffen des Alten mit Isabelle dauerte es zwei Monate, bis es losging.
    Als Erstes bekamen die Vietnamesen Probleme. In der Zeitung stand, dass die Bullen an neun Stellen gleichzeitig zugeschlagen hätten. Angeblich haben sie dabei fünf Heroinlager gefunden und insgesamt sechsunddreißig Vietcongs festgenommen. In der Woche darauf waren die Kosovo-Albaner dran. Die Delta-Einsatztruppe stürmte eine Wohnung in Helsfyr, die der Oberzigeuner anscheinend für sicher gehalten hatte. Dann kamen die Nordafrikaner und Litauer an die Reihe. Der Typ, der die Leitung des Orgkrim-Dezernats übernommen hatte, ein Bodybuilder mit langen Wimpern, sprach gegenüber der Presse von anonymen Hinweisen, die er erhalten habe. Im Laufe der nächsten Wochen wurden die Straßendealer einer nach dem anderen kassiert und weggesperrt, egal, ob kohlrabenschwarzer Somalier oder bleicher Nordländer. Nur keiner der Jungs, die ein Arsenal-Trikot trugen. Wir merkten sofort, dass wir plötzlich mehr Bewegungsfreiheit hatten und die Schlangen vor uns länger wurden. Der Alte rekrutierte ein paar arbeitslos gewordene Dealer, hielt sich aber an seinen Teil der Abmachung. Der Handel mit Heroin war in den Straßen Oslos längst nicht mehr so offensichtlich, und auch wir drosselten den Heroinimport, da wir am Violin viel mehr verdienten. Das Zeug war so teuer, dass einige zu Morphium wechselten, doch nach einer Weile waren sie alle wieder da.
    Wir verkauften den Stoff schneller, als Ibsen produzieren konnte.
    An einem Dienstag waren wir schon mittags um halb eins ausverkauft. Da es aber streng verboten war, Handys zu benutzen – der Alte hielt Oslo wohl für so etwas wie Scheiß-Baltimore –, ging ich runter zum Bahnhof, enterte eine Telefonzelle und rief das russische Gresso-Telefon von dort aus an. Andrej sagte, er habe zu tun, wollte aber trotzdem sehen, was er tun könnte. Oleg, Irene und ich setzten uns in der Skippergata auf eine Treppe, jagten die Käufer weg und chillten ein bisschen. Eine Stunde später sah ich eine Gestalt auf uns zuhinken. Es war Ibsen persönlich. Er war supermies drauf. Hörte gar nicht mehr auf zu schimpfen, bis er irgendwann Irene sah. Plötzlich zog das Tiefdruckgebiet ab, und sein Ton wurde wieder versöhnlicher. Er begleitete uns in den Hinterhof, wo er uns eine Tüte mit hundert Päckchen gab.
    »Zwanzigtausend«, sagte er und hielt die Hand hin, wir leben in einem Cash-Business. Ich nahm ihn beiseite und schlug ihm vor, das nächste Mal zu ihm zu kommen, wenn wir ausverkauft wären.
    »Ich will keinen Besuch«, sagte er.
    »Vielleicht zahle ich dann ja ein bisschen mehr als zweihundert pro Päckchen«, sagte ich.
    Er sah mich misstrauisch an. »Willst du etwa dein eigenes Business starten? Was sagt denn dein Chef dazu?«
    »Das bleibt zwischen dir und mir«, sagte ich. »Es geht doch nur um ein paar kleine Trips, zehn, zwanzig Päckchen für Freunde und Bekannte.«
    Er lachte laut.
    »Ich bringe auch das Mädchen mit«, sagte ich. »Sie heißt übrigens Irene.«
    Plötzlich hörte er auf zu lachen und sah mich an. Irgendwann versuchte er sich dann doch noch mal am Lachen, aber es gelang ihm nicht, denn plötzlich standen ihm seine ganze Einsamkeit, seine Gier, sein Hass wie mit dicken Druckbuchstaben ins Gesicht geschrieben. Und seine Begierde. Seine Scheißbegierde.
    »Freitag«, sagte er. »Zwanzig Uhr. Trinkt sie Gin?«
    Ich nickte. Von jetzt an tat sie das.
    Er gab mir die Adresse.
    Zwei Tage später lud der Alte mich zum Essen ein. Für einen Moment dachte ich, Ibsen hätte geplaudert, doch dann kam mir wieder sein Blick in den Sinn. Peter bediente uns an dem langen Tisch in dem kalten Esszimmer, der Alte redete über den Heroinimport. Er hatte den Landweg via Amsterdam eingestellt und kriegte den Stoff jetzt über ein paar Piloten aus Bangkok. Er nannte mir Zahlen, versicherte sich, dass ich auch alles verstand, und wiederholte seine gewohnte Frage, ob ich meine Finger auch wirklich vom Violin ließe. Er saß mir im Halbdunkel gegenüber und sah mich an,

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