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Die Larve

Die Larve

Titel: Die Larve Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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und erst als es spät wurde, rief er Peter und bat ihn, mich nach Hause zu fahren. Am liebsten hätte ich Peter gefragt, ob der Alte impotent ist.
    Ibsen wohnte in einer typischen Junggesellenwohnung in einem Mietklotz oben am Ekeberg. Großer Plasmabildschirm, kleiner Kühlschrank und kahle Wände. Er servierte einen steifen GT mit wenig Tonic und ohne Zitronenscheibe, dafür aber mit drei Eiswürfeln. Irene folgte den Regieanweisungen. Sie lächelte, war süß und überließ mir das Reden. Ibsen starrte sie die ganze Zeit idiotisch grinsend an, und es grenzte schon an ein Wunder, dass ihm nicht der Sabber über die Unterlippe rann. Dabei lief ununterbrochen so blöde, klassische Musik. Ich kriegte meine Päckchen, und wir vereinbarten, dass ich in vierzehn Tagen wiederkommen sollte. Mit Irene.
    Dann kam der erste Bericht, dass die Anzahl der Überdosisfälle gesunken war. Kein Wort wurde aber darüber geschrieben, dass alle, die auch nur einmal Violin probiert hatten, schon nach einer Woche mit sichtlichem Zittern und vor Sucht und Entzugserscheinungen aufgerissenen Augen vor uns in der Schlange standen. Sie heulten, mit ihren zerknitterten Scheinen in der Hand, wenn wir ihnen sagten, dass der Preis schon wieder gestiegen sei.
    Nach dem dritten Besuch bei Ibsen nahm er mich beiseite und sagte, Irene solle beim nächsten Mal allein kommen. Ich antwortete, das sei okay, dass ich dann aber fünfzig Päckchen haben wollte, à hundert Kronen das Stück. Er nickte.
    Klar war Irene nicht begeistert, und ich brauchte all meine Überredungskraft. Zum ersten Mal kam ich nicht mehr mit meinen alten Tricks aus, sondern musste Klartext reden und ihr erklären, dass das jetzt meine Chance war. Unsere Chance. Ich fragte sie, ob sie wirklich wollte, dass ich weiterhin auf einer Matratze in einem Probenraum schlief. Irgendwann begann sie zu flennen und schluchzte, dass sie das natürlich nicht wollte, aber auch nicht … Ich wiegelte ab, sagte, das sei doch gar nicht nötig, sie solle bloß ein wenig nett zu dem armen, einsamen Mann sein. Der habe bei dem Fuß sicher nur selten Spaß. Irgendwann nickte sie, bat mich aber, Oleg nichts davon zu sagen. Nachdem sie dann endlich in Richtung Ibsen aufgebrochen war, war ich so down, dass ich ein Päckchen Violin etwas erleichterte und ein bisschen Pulver in einer Zigarette rauchte. Ich wachte erst wieder auf, als mich jemand schüttelte. Sie stand über der Matratze und weinte wie ein Schlosshund. Die Tränen liefen nur so über ihre Wangen, tropften mir ins Gesicht und brannten in meinen Augen. Ibsen hatte es versucht, aber sie hatte weglaufen können.
    »Hast du die Päckchen mitgebracht?«, fragte ich.
    Allem Anschein nach die falsche Frage, denn danach brach sie total zusammen. Also sagte ich zu ihr, ich hätte etwas für sie, das alles wiedergutmachte. Ich zog ihr eine Spritze auf, und sie starrte mich mit großen, nassen Augen an, als ich in ihrer weißen, feinen Haut eine blaue Ader suchte und die Nadel einstach. Ich spürte, wie sich die Spasmen von ihrem auf meinen Körper übertrugen, als ich den Kolben nach unten drückte. Ihr Mund öffnete sich wie zu einem stummen Orgasmus. Dann zog der Rausch ihr eine weißglänzende Gardine vor die Augen.
    Ibsen mochte ein Schwein sein, aber mit seiner Chemie kannte er sich aus.
    In diesem Moment wusste ich, dass ich Irene verloren hatte. Das las ich in ihrem Blick, als ich sie nach den Päckchen fragte. Es würde nie wieder so werden wie früher. Als ich Irene an diesem Abend in den Rausch gleiten sah, sah ich gleichzeitig auch meine Chancen, Millionär zu werden, den Bach runtergehen.
    Nur der Alte verdiente weiter seine Millionen. Trotzdem verlangte er mehr, in immer kürzeren Abständen. Es schien so, als müsse er irgendetwas erreichen, Schulden bezahlen, die bald fällig wurden. Denn ich konnte überhaupt nicht erkennen, dass er sein Geld für irgendetwas ausgab; das Haus war unverändert, es wurde geputzt, aber nicht erneuert, und es blieb bei zwei Mitarbeitern. Andrej und Peter. Die einzigen Konkurrenten, die wir hatten, waren Los Lobos. Aber auch sie hatten ihren Dealerkreis erweitert und die Vietnamesen und Marokkaner angeheuert, die noch nicht eingebuchtet waren. Und sie verkauften Violin nicht nur im Zentrum von Oslo, sondern auch in Kongsvinger, Tromsø, Trondheim und – wenn das Gerücht stimmte – Helsinki. Kann schon sein, dass Odin und seine Los Lobos mehr verdienten als der Alte, aber die zwei teilten sich den Markt,

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