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Die Larve

Die Larve

Titel: Die Larve Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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sie, hatte die Sekretärin einigermaßen entsetzt ausgerufen, aber sie sei doch ins Sjømagazin gegangen.
    »Nein«, sagte Harry. »Ist es in Ordnung, wenn ich mich kurz umschaue?«
    Der Oberkellner zögerte. Musterte den Anzug.
    »Ist schon gut, ich sehe sie«, sagte Harry und schob sich an dem Kellner vorbei, ehe das abschließende Urteil gefallen war.
    Ihr Gesicht und ihre Haltung waren genau wie auf den Fotos im Internet. Sie lehnte an der Bar, die Ellbogen auf den Tresen gestützt, und sah wartend in den Saal, als stünde sie auf einer Bühne. Ihre Verabredung schien noch nicht gekommen zu sein. Harry ließ den Blick durch den Saal schweifen und bemerkte all die Augen der Männer, die auf sie gerichtet waren. Isabelle Skøyens grobes, fast maskulines Gesicht wurde in der Mitte durch eine markante, scharfe Nase in zwei Hälften getrennt. Trotzdem strahlte sie eine Art konventionelle Schönheit aus, die andere Frauen häufig als »Attraktivität« beschrieben. Sie hatte ihre kalten, blauen Augen mit einem schwarzen Sternenkranz aus Wimperntusche betont, was ihr den Raubtierblick eines Wolfes verlieh. Ihre blonde Puppenfrisur mit den Korkenzieherlocken stand in einem schon fast krassen Kontrast zu ihren männlichen Zügen. Doch der eigentliche Blickfang war Isabelle Skøyens Körper.
    Sie war großgewachsen und athletisch mit breiten Schultern und Hüften. Die engsitzende schwarze Hose betonte ihre kräftigen, muskulösen Schenkel. Harry fragte sich, ob ihre Brüste künstlich waren und von einem ausgeklügelten BH gestützt wurden oder ob all diese Pracht wirklich echt sein konnte. Die Google-Suche hatte ergeben, dass sie auf einem Hof in Rygge Pferde züchtete, zweimal geschieden war, zuletzt von einem Finanzmenschen, der es viermal zu Reichtum und dreimal zum Konkurs gebracht hatte. Sie hatte am landesweiten Schützenturnier teilgenommen, spendete Blut, war aktuell in Schwierigkeiten, da sie einen politischen Mitarbeiter aus zweifelhaften Gründen rausgeschmissen hatte, »weil er so jämmerlich sei«, und liebte es, bei Film- und Theaterpremieren für die Fotografen zu posieren. Kurz gesagt, eine Menge Frau für recht wenig Geld.
    Als er in ihr Blickfeld trat, richteten ihre Augen sich auf ihn und ließen ihn nicht mehr los, bis er fast bei ihr war. Sie schien es für ihr Geburtsrecht zu halten, andere fixieren zu dürfen. Harry ging zu ihr und wusste genau, dass ihm jetzt mindestens ein Dutzend Augenpaare folgten.
    »Sie sind Isabelle Skøyen«, sagte er.
    Sie schien ihn kurz abservieren zu wollen, entschied sich dann aber doch anders und legte den Kopf zur Seite. »Das ist das Problem an diesen überteuerten Osloer Restaurants, nicht wahr? Jeder ist hier irgendwer. Also …«
    Sie zog das »o« in die Länge und musterte ihn langsam von Kopf bis Fuß. »Wer sind Sie?«
    »Harry Hole.«
    »Sie kommen mir irgendwie bekannt vor. Waren Sie im Fernsehen?«
    »Das ist viele Jahre her. Vor der hier.« Er zeigte auf die Narbe in seinem Gesicht.
    »Ah, ja. Sie sind dieser Polizist, der den Serienmörder geschnappt hat, nicht wahr?«
    Es gab zwei mögliche Wege. Harry entschied sich für den schmaleren.
    »Ich war dieser Polizist …«
    »Und was machen Sie jetzt?«, fragte sie uninteressiert und ließ ihren Blick über seine Schulter zum Eingang schweifen. Presste die roten Lippen zusammen und riss die Augen ein paarmal weit auf. Einstimmen. Es musste ein wichtiges Treffen sein.
    »Konfektion und Schuhe«, sagte Harry.
    »Das sieht man, cooler Anzug.«
    »Coole Stiefel. Rick Owens?«
    Sie sah ihn an und entdeckte ihn irgendwie aufs Neue. Wollte etwas sagen, als ihr Blick eine Bewegung hinter ihm einfing. »Meine Verabredung ist da. Vielleicht sehen wir uns ja noch einmal wieder, Harry.«
    »Hm. Ich hatte eigentlich gehofft, wir könnten hier und jetzt kurz miteinander reden.«
    Sie lachte und beugte sich vor. »Der Vorstoß gefällt mir, Harry. Aber es ist zwölf Uhr mittags, ich bin vollkommen nüchtern und habe schon eine Verabredung zum Lunch. Einen schönen Tag noch.«
    Sie verließ ihn auf laut hackenden Stiefelabsätzen.
    »War Gusto Hanssen Ihr Lover?«
    Harry sagte es leise, und Isabelle Skøyen war bereits drei Meter von ihm entfernt. Trotzdem erstarrte sie, als hätte er eine Frequenz getroffen, die sich durch das Hämmern der Absätze, das Stimmengewirr und Diana Kralls Hintergrund Crooning direkt bis zu ihrem Trommelfell schnitt.
    Sie drehte sich um.
    »Sie haben ihn an dem Abend vier Mal angerufen. Das

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