Die Larve
ohne Auseinandersetzungen über ihr jeweiliges Territorium, so dass beide im Begriff waren, steinreich zu werden. Ein normaler Geschäftsmann wäre mit dem Status quo sicher mehr als zufrieden gewesen.
Nur zwei kleine Wölkchen standen an dem ansonsten knallblauen Himmel.
Das eine war dieser verdeckte Ermittler mit dem schrägen Hut. Wir wussten, dass bei der Polizei die Botschaft angekommen war, die Arsenal-Trikots bis auf weiteres in Ruhe zu lassen, aber trotzdem schnüffelte dieser Sixpence in unserem Revier herum. Das zweite Problem war, dass die Los Lobos begannen, Violin auch in Lillestrøm und Drammen zu verkaufen, und zwar billiger als in Oslo, was dazu führte, dass einige unserer Kunden den Zug nahmen und dort einkauften.
Eines Tages wurde ich dann zum Alten bestellt und mit dem Auftrag betraut, einem Bullen namens Truls Berntsen eine Nachricht zu überbringen. Alles musste total vertraulich über die Bühne gehen. Ich fragte ihn, warum das nicht Andrej oder Peter übernahmen, und der Alte erklärte mir, es sei von zentraler Bedeutung, dass ihm kein Kontakt zu Berntsen nachgewiesen werden könne, er wolle der Polizei keinen auch noch so kleinen Anhaltspunkt bieten. Der Alte meinte, ich verfüge zwar auch über Wissen, das ihn entlarven könnte, dass ich neben Peter und Andrej aber der Einzige sei, dem er vertraute. Ja, dass er mir in vielerlei Hinsicht sogar mehr vertraute. Ein Drogenboss, der sich auf einen Dieb verlässt, dachte ich.
Die Nachricht war einfach. Ich sollte ausrichten, dass er ein Treffen mit Odin vereinbart hatte, um die Sache mit Drammen und Lillestrøm zu besprechen, und dass sie sich am Donnerstagabend um sieben im McDonald’s im Kirkeveien in Majorstua treffen wollten. Die gesamte erste Etage war für einen Kindergeburtstag reserviert worden, so dass dort niemand sonst Zutritt hatte. Ich stellte mir die Situation vor: Ballons, Luftschlangen, Papierkronen und irgendein blöder Clown, der sich bestimmt vor Angst in die Hose machte, wenn er die Geburtstagsgesellschaft eintreffen sah: aufgeputschte MC-Typen mit Mord im Blick und Nägeln auf den Knöcheln, zweieinhalb Meter Kosakenbeton und Odin und der Alte, die über den Pommes frites versuchten, einander zu Tode zu starren.
Truls Berntsen wohnte allein in einer Mietwohnung in Manglerud, aber als ich dort an einem frühen Sonntagmorgen klingelte, war niemand zu Hause. Der Nachbar – er hatte Berntsens Klingel anscheinend gehört – beugte sich über das Balkongeländer und sagte, Truls sei oben bei Mikael. Er würde ihm mit der Terrasse helfen. Während ich zu der Adresse fuhr, die er mir genannt hatte, dachte ich, dass Manglerud wirklich ein kleines Scheißkaff war. Hier schien echt jeder jeden zu kennen.
Ich war nicht zum ersten Mal in Høyenhall, dem Beverly Hills von Manglerud, mit seinen dicken Villen mit Blick auf das Kværnerdalen, das Zentrum und Holmenkollen. Irgendwann entdeckte ich unter mir das halbfertige Skelett eines Hauses, vor dem eine Gruppe Männer mit bloßen Oberkörpern und Bierdosen in den Händen diskutierte und lachend auf die Verschalung zeigte, in der offensichtlich eine Terrasse betoniert werden sollte. Einen von ihnen erkannte ich sofort wieder. Es war der Bodybuilder mit den langen Wimpern. Der neue Orgkrim-Chef. Die Männer hörten schlagartig zu reden auf, als sie mich sahen. Und ich verstand, wieso. Diese Männer waren ausnahmslos Polizisten, die mit einem Mal einen Banditen witterten. Die Situation war denkbar beschissen. Ich hatte den Alten nicht danach gefragt, war aber natürlich selbst schon darauf gekommen, dass Truls Berntsen der Mittelsmann bei der Polizei war, zu dem er Isabelle Skøyen geraten hatte.
»Ja?«, sagte der Mann mit den langen Augenwimpern. Er war echt verdammt gut trainiert. Bauchmuskeln wie Ziegelsteine. Ich hatte noch immer die Möglichkeit, mich zurückzuziehen und Berntsen irgendwann später aufzusuchen. Deshalb weiß ich wirklich nicht, was mich geritten hat.
»Ich habe eine Nachricht für Truls Berntsen«, sagte ich laut und deutlich.
Die anderen wandten sich einem Mann zu, der seine Bierdose abgestellt hatte und mit seinen O-Beinen auf mich zukam. Er blieb erst stehen, als er so dicht vor mir war, dass die anderen uns nicht hören konnten. Er hatte blonde Haare, einen kräftigen Unterbiss und einen irgendwie schief hängenden Unterkiefer. Wie eine kaputte Schublade. Aus seinen kleinen Schweinsaugen leuchteten Misstrauen und Hass. Wäre er ein Haustier gewesen,
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