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Die Larve

Die Larve

Titel: Die Larve Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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darauf vorbereitet sein, dass wir ins Leons kommen.«
    Sergej zuckte zusammen. »Vorbereitet?«
    Er wechselte die Spur und fädelte sich hinter einem Leihwagen ein. Andrej erklärte ihm, dass der Polizist zwei ihrer Dealer kontaktiert und ataman ins Leons gebeten habe. Sicher eine Falle. Ataman habe klar gesagt, dass Sergej die Sache an einem anderen Ort zu Ende bringen solle.
    »Wo?«, fragte Sergej.
    »Warte auf der Straße vor dem Hotel auf ihn«, sagte Andrej.
    »Aber wo soll ich das tun ?«
    »Das ist deine Entscheidung«, sagte Andrej. »Aber ich denke, du solltest ihn in einen Hinterhalt locken. Das ist jedenfalls mein persönlicher Tipp.«
    »Hinterhalt?«
    »Ein Hinterhalt ist immer gut, Sergej. Und noch etwas …«
    »Ja?«
    »Dieser Mann beschäftigt sich mit Dingen, in deren Nähe er nichts verloren hat, es wird also langsam eilig.«
    »Was … äh, was heißt das?«
    » Ataman sagte, du sollst dir die Zeit nehmen, die du brauchst, aber auch nicht mehr. Vierundzwanzig Stunden sind sicher besser als zwei, drei Tage, verstanden?«
    »Verstanden«, sagte Sergej und hoffte, dass Andrej sein Schlucken nicht bemerkte.
    Als sie auflegten, stand Sergej noch immer im Stau. Nie zuvor in seinem Leben hatte er sich so einsam gefühlt.
    Er war mitten in die nachmittägliche Rushhour geraten, erst in Höhe von Berger, kurz vor dem Skedsmokrysset löste der Stau sich schließlich auf. Harry saß mittlerweile schon eine Stunde im Auto und hatte die verschiedenen Radiosender gescannt, bis er rein aus Protest beim öffentlich-rechtlichen Klassikprogramm geblieben war. Zwanzig Minuten später tauchte endlich das Schild für die Flughafenausfahrt auf. Gut ein Dutzend Mal hatte er im Laufe des letzten Tages Tord Schultz’ Nummer gewählt, doch immer ohne Erfolg. Schultz’ Kollege, den er schließlich über die Fluggesellschaft erreicht hatte, meinte, er wisse zwar nicht, wo Tord steckte, in der Regel fahre er aber nicht weit weg, wenn er keine Flüge hätte. Zu guter Letzt hatte er Harry noch die Adresse bestätigt, die er über das Internet herausgefunden hatte. Es wurde schon dunkel, als Harry die richtige Straße fand. Er fuhr langsam zwischen den schuhkartonartigen Bungalows hindurch, die rechts und links des frisch asphaltierten Sträßchens lagen. Über einige hell erleuchtete Nachbarhäuser errechnete er sich die richtige Adresse, bis er schließlich vor einem Haus stand, in dem nicht eine Lampe brannte.
    Harry parkte den Wagen. Hob den Blick. Silberglänzend stieg aus dem Dunkel ein Flugzeug empor, lautlos wie ein Greifvogel. Lichter wischten über die Hausdächer, und die Maschine verschwand, ihr Dröhnen wie einen Brautschleier hinter sich herziehend.
    Harry ging zur Haustür, blickte durch die Glasscheibe in den Flur und klingelte. Er wartete. Klingelte erneut. Wartete eine Minute und trat die Scheibe ein.
    Er schob die Hand durch die Öffnung, legte die Finger auf die Klinke und öffnete. Dann stieg er in einem großen Schritt über die Scherben und ging ins Wohnzimmer.
    Die Dunkelheit irritierte ihn. Sie war intensiver als normal, sogar für ein Zimmer, in dem keine Lampe brannte. Dann fielen ihm die zugezogenen Vorhänge auf. Dicke Gardinen, wie sie sie in der Kaserne in der Finnmark gehabt hatten, um die Mitternachtssonne auszusperren.
    Aber etwas anderes beunruhigte ihn noch mehr: Er hatte das Gefühl, nicht allein zu sein. Und da Harry aus Erfahrung wusste, dass solche Gefühle fast immer auf irgendwelchen konkreten Sinneseindrücken beruhten, konzentrierte er sich auf alles, was er wahrnahm, und unterdrückte seinen hämmernden Puls und den unbändigen, höchst natürlichen Drang, auf demselben Weg zu verschwinden, auf dem er gekommen war. Er lauschte, hörte aber nur das Ticken einer Uhr, die vermutlich irgendwo in einem angrenzenden Raum stand. Schnupperte. Durch den muffigen, abgestandenen Geruch nahm er noch etwas anderes, Undeutliches, aber höchst Bekanntes wahr. Er schloss die Augen. In der Regel spürte er sie, bevor sie kamen. Hatte sich über die Jahre hinweg Strategien erarbeitet, um sie auszusperren. Doch jetzt stürzten sie auf ihn ein, noch ehe er die Tür verriegeln konnte. All die alten Gespenster. Es roch nach einem Tatort.
    Er öffnete die Augen und wurde geblendet. Licht fiel durch ein Fenster oben im ersten Stock. Es strich über den Fußboden. Dann kamen die Geräusche des Flugzeugs, und im nächsten Augenblick lag das Zimmer wieder im Dunkeln. Seine Augen aber hatten genug gesehen,

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