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Die Larve

Die Larve

Titel: Die Larve Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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Levorphanol.«
    Harry notierte sich den Namen. »Und das ist?«
    »Die reinste Atombombe von einem Opioid«, warf Nybakk ein. »Extrem schmerzstillend. Sechs bis acht Mal stärker als Morphium. Drei Mal stärker als Heroin.«
    »Wirklich?«
    »Wirklich«, sagte Nybakk. »Und die Wirkung hält doppelt so lange an wie bei Morphium. Acht bis vierzehn Stunden. Nimmt man nur drei Milligramm Levorphanol zu sich, führt das zu einer vollständigen Narkose. Injiziert man das Zeug, braucht man sogar nur halb so viel.«
    »Hm. Hört sich gefährlich an.«
    »Nicht ganz so gefährlich, wie man glauben sollte. Bei entsprechender Dosierung sind reine Opioide für den Körper nicht ganz so gefährlich wie Heroin. Das eigentliche Problem ist, dass die Abhängigkeit das Leben kaputtmacht.«
    »Ach ja? Die Heroinabhängigen sterben hier in der Stadt doch wie die Fliegen.«
    »Ja, aber dafür gibt es zwei einfache Gründe. Zum einen wird das Heroin oft mit anderen Substanzen gestreckt, die daraus das reinste Gift machen. Mischt man Heroin zum Beispiel mit Kokain …«
    »Speedball«, sagte Harry. »John Belushi.«
    »Möge er in Frieden ruhen. Die andere häufige Todesursache hat mit der atmungslähmenden Wirkung des Heroins zu tun. Injiziert man sich zu viel, setzt einfach die Atmung aus. Und da das Toleranzniveau des Körpers bei dieser Droge mit der Zeit steigt, drückt man sich immer mehr. Levorphanol hingegen ist bei weitem nicht so atmungshemmend. Nicht wahr, Martin?«
    Der Glöckner nickte, ohne den Blick zu heben.
    »Hm«, sagte Harry und sah zu Pran. »Stärker als Heroin, längere Wirkdauer und ein geringeres Risiko für eine Überdosis. Hört sich wie der Traumstoff eines jeden Junkies an.«
    »Abhängigkeit«, murmelte der Glöckner. »Und die Kosten.«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Wir sehen das bei unseren Patienten«, sagte Nybakk und seufzte. »Sie sind im Handumdrehen abhängig.« Er schnippte mit den Fingern. »Bei Krebspatienten ist Abhängigkeit aber kein Thema. Wir folgen bei der Vergabe der Schmerzmittel und ihrer Dosierung einem konkreten Plan. Es geht ja darum, den Schmerzen zuvorzukommen und ihnen nicht hinterherzuhecheln. Und Levorphanol ist in der Herstellung und im Import sehr teuer. Das mag der Grund dafür sein, dass wir es nicht auf den Straßen sehen.«
    »Es ist nicht Levorphanol.«
    Harry und Nybakk drehten sich zu Martin Pran um.
    »Es ist modifiziert.« Pran hob den Kopf. Und Harry dachte, dass sein Blick glänzte, als wäre da drinnen gerade eine Lampe angegangen.
    »Wie das denn?«, fragte Nybakk.
    »Es wird eine Weile dauern, das herauszufinden, aber auf den ersten Blick sieht es so aus, als wäre eines der Chlormoleküle durch ein Fluormolekül ersetzt worden. Es ist nicht sicher, dass die Herstellung dann noch immer so kostspielig ist.«
    »Uih«, sagte Nybakk ungläubig. »Dann reden wir vom Dreser-Effekt?«
    »Kann sein«, sagte Pran mit einem kaum merkbaren Lächeln.
    »Mein Gott!«, platzte Nybakk hervor und kratzte sich mit beiden Händen begeistert am Hinterkopf. »Dann haben wir es entweder mit einem Genie oder jemanden mit einem Riesenglück zu tun.«
    »Entschuldigung, aber ich glaube, ich komme nicht ganz mit«, sagte Harry.
    »Oh, entschuldigen Sie«, sagte Nybakk, »Heinrich Dreser. Er war 1897 an der Entwicklung von Aspirin beteiligt. In den Tagen danach arbeitete er weiter daran, seinen Stoff zu modifizieren. Dafür braucht es nicht viel, ein Molekül hier oder da reicht aus und schwups – lagern sich die Wirkstoffe an ganz anderen Rezeptoren des menschlichen Körpers an. Elf Tage später hatte Dreser einen neuen Stoff entwickelt, der hier in Norwegen bis 1913 als Hustenmedizin verkauft worden ist.«
    »Und dieser Stoff war?«
    »Sein Name hat etwas mit einer Heldin zu tun.«
    »Heroin« , sagte Harry.
    »Richtig.«
    »Und was ist mit dieser Glasur?«, fragte Harry und wandte sich an Pran.
    »Man nennt das Dragierung«, sagte der Glöckner verärgert. »Was soll damit sein?« Das Gesicht war Harry zugewandt, den Blick aber hatte er auf die Wand gerichtet. Wie ein Tier, das nach einem Ausweg sucht, dachte Harry. Ein Individuum in einem Rudel, das keine Rangkämpfe auslösen will und deshalb niemanden direkt ansieht. Oder einfach nur ein Mensch mit etwas überdurchschnittlichen sozialen Hemmungen. Aber auch die Art, wie er dastand, weckte Harrys Aufmerksamkeit. Sein ganzer Körper schien irgendwie schief zu sein.
    »Nun«, sagte Harry. »In der Kriminaltechnik meinten sie, bei den

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