Die Last der Schuld
nicht ein zweites Mal verletzt zu werden.
***
Schlafenszeit war für Lana die schlimmste Zeit des Tages. Sie versuchte, den Moment jeden Abend ein wenig länger hinauszuzögern, doch es war inzwischen fast zwei Uhr, und nach der Dosis Schlaftabletten, die sie geschluckt hatte, um sich nicht an ihre Albträume zu erinnern, war sie zu erschöpft, um das Unausweichliche noch länger zu verhindern.
Lana schaltete alle Lampen in ihrem Schlafzimmer ein, bis der Raum in Helligkeit erstrahlte. Das Licht half ihr, die Angst in ihrem Magen ein wenig zu lindern, doch eben nur ein wenig. Die Tatsache, dass Caleb unvermittelt aufgetaucht war und all die Erinnerungen in ihr aufgewühlt hatte, würde ihre Albträume nur noch schlimmer machen. Da war sie sich sicher. Sie wollte ihn anschreien oder ihm eine Waffe an den Kopf halten oder sonst etwas tun, um ihn zum Gehen zu bewegen, doch tief in ihrem Innern wusste sie, dass es bereits zu spät war. Selbst wenn er auf der Stelle verschwände, lieÃe sich der Schaden nicht wiedergutmachen. Die Erinnerungen, die Caleb in ihr heraufbeschwor, hatten die alten Wunden aufgerissen, und sie würde den langen, schmerzhaften Prozess der Heilung erneut durchlaufen müssen.
Lana kroch in ihr Bett und rollte sich zu einer winzigen Kugel zusammen, während sie verzweifelt versuchte, nicht unter der Last ihrer Angst zusammenzubrechen. Das durfte alles nicht geschehen. Nicht jetzt. Nicht nach all der Zeit und Mühe, die sie investiert hatte, um die Scherben ihres Lebens zu kitten. Und das Geschehene zu verdrängen.
Sie hatte hart dafür gekämpft, es bis hierher zu schaffen. Sie hatte alles geopfert â ihre Karriere, ihren Verlobten, ihre Freunde, ihr Geld und ihre Hoffnung, jemals wieder ein normales Leben zu führen. All das war unwiederbringlich verloren, ausgelöscht von den drei längsten, grauenvollsten Tagen ihres Lebens. Und doch hatte sie sich nicht unterkriegen lassen. Sie hatte gehadert und gekämpft und sich gezwungen, den schmerzvollen Prozess der Rehabilitation auf sich zu nehmen, um unbeirrt weiterzumachen und etwas Sinnvolles mit ihrem Leben anzufangen.
Und nun drohte alles auÃer Kontrolle zu geraten und über ihr zusammenzubrechen. Es war so verdammt ungerecht, dass ihr vor Wut fast der Atem stockte. Sie wollte wild um sich schlagen und irgendetwas zertrümmern, doch sie traute sich nicht. Ihre Selbstbeherrschung hing an einem dermaÃen dünnen Faden, dass sie sich keine Sekunde gehen lassen durfte. Sie musste sich zusammenreiÃen. Sie hatte zu viel Arbeit und zu wenig Zeit und Arbeitskräfte aufzubieten, um selbige zu bewältigen. Sie fürchtete, wenn ihre Stiftung den Bach hinunterginge, würde sie auch noch den letzten Grund verlieren, weiterzuleben, weiterzukämpfen und sich dem Druck zu widersetzen, sich ihrer Angst vollständig auszuliefern und von ihr verschlingen zu lassen.
Es war eine finstere Verlockung. Sie schwebte so nah am Abgrund, dass es nicht schwierig wäre, den letzten Schritt auch noch zu tun. Ein kurzer Fall. Sie würde zusammenbrechen und die Welt um sich herum für immer vergessen. Sie war schon einmal kurz davor gewesen, als ihr die Ãrzte gesagt hatten, dass sie nie wieder laufen würde und vermutlich nie Kinder bekommen könnte, da die Schläge ihren Körper zu schwer verletzt hätten. Sie konnte sich erneut an jenen finsteren Ort begeben und sich vom Nichts umfangen lassen.
Die Vorstellung war derart verlockend, dass Lana um ein Haar abdriftete. Dann riss sie sich abrupt zusammen, erschrocken, dass sie es überhaupt so weit hatte kommen lassen. Es gab Menschen, die sie brauchten. Kinder, die sie brauchten. Sie konnte sie nicht einfach im Stich lassen. Sie würde diese neue Bedrohung mit aller ihr noch verbliebenen Kraft abwehren. Viel war das nicht, nach all den Kämpfen, die sie bereits bestritten hatte, doch sie musste es zumindest versuchen. Nur so konnte sie mit sich selbst weiterleben.
4
In ihren Träumen war es immer dunkel. Dicke, erstickende Dunkelheit, die ihr in Mund und Nase kroch und ihre Lungen mit klumpig öliger Luft füllte. Sie konnte nichts sehen, doch sie spürte das kalte Metallrohr, das auf ihre Rippen herabdonnerte, bis sie barsten. Sie hörte ihre eigenen Schreie, kreischend und feucht gurgelnd von all dem Blut in ihrem Mund. Sie war gefesselt, hilflos. Sie konnte sich nicht wehren. Sie konnte sich nicht einmal
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