Die Laufmasche
ich nicht so aussehe, als würde ich einen Oberarzt, ein Landhaus mit Swimmingpool sowie ein BMW-Cabrio mein Eigen nennen und als wäre ich noch viel zu jung für eine fünfjährige Tochter, hat sich die Mühe nicht gelohnt.«
»So wirst du dann aussehen, wenn wir zwanzig Jahre Abitur feiern«, sagte ich. »Fürs Zehnjährige reichen die Doppelhaushälfte und der Arztgatte allemal.«
»Du machst aber auch was her«, sagte sie befriedigt.
»Du weißt schon, die Sache mit den ersten drei Sekunden! Heute hast du wirklich gute Karten.«
Wir mussten - wegen des Sekts - ein Taxi rufen, das uns zu dem Klassentreffen chauffierte. Nina hatte bedeutend mehr Sekt getrunken als ich.
»It's raining, men, halleluja*, sang sie gutgelaunt.
»Ich bin gespannt, was aus den Jüngelchen von damals geworden ist, du nicht?«
»Nein«, sagte ich ehrlich. Nina betrachtete mich kopfschüttelnd von der Seite. »Du wirst nächstes Jahr schon dreißig«, sagte sie. »Und jeder ist seines Glückes Schmied. Womit ich sagen will, dass die Gelegenheiten immer seltener werden und du heute eine dieser seltenen Gelegenheiten hast!«
Ich antwortete nicht. Seien wir doch mal ehrlich: Es gibt weitaus mehr Gelegenheiten, den Traummann zu verpassen, als ihm zu begegnen.
Letzteres liegt rein statistisch betrachtet gefährlich nahe bei Null. Diese Erkenntnis ist es meiner Ansicht nach, die ein Mädchen zur Frau macht. Wir arrangieren uns mit diesem Sachverhalt, so gut wir können. Dabei gibt es im Wesentlichen zwei Möglichkeiten: Man konnte es machen wie Nina und schon in frühen Jahren den Begriff »Traummann«
neu definieren - Hauptsache, er bringt genug Geld nach Hause und die Bereitschaft, es mit einer Frau zu teilen -, oder man machte es wie ich und hoffte hartnäckig darauf, irgendwann doch noch einmal dem Traummann vor die Füße zu laufen. Wenn man also davon ausgeht, dass ich, rein rechnerisch betrachtet, seit zwölf Jahren auf diese Gelegenheit wartete - wenn man mal von den zwei Wochen absieht, in denen ich Till für meinen Traummann hielt -, ist es um so verwunderlicher, dass ich die Gelegenheit nicht nutzte. Aber so ist das mit guten Gelegenheiten: Nichts und niemand bereitet uns jemals darauf vor.
Das Klassentreffen sollte sich in einem Ausflugslokal in der Vorstadt ereignen, nicht weit von unserer alten Schule entfernt. Haus
»Waidmannsheil«, mit trüben Butzenscheiben, jägergrün gekachelten Außenwänden, Kegelbahn und einem eigens für Reisebusse dimensionierten Parkplatz.
»Wer hat denn das ausgesucht?«, fragte ich leicht schockiert.
Nina faltete die Einladung auseinander. »Gaby von der Dries«, las sie vor.
Ich hatte keine Ahnung, wer das war. »Sie muss früher anders geheißen haben.« Es hatte außerdem sieben Gabys in unserer Stufe gegeben.
»Immerhin hat diese einen Adeligen geheiratet«, sagte ich neidisch und bezahlte den Taxifahrer.
»Pah«, schnaufte Nina. »Von der Dries! Das hört sich nicht nach einem Adeligen an, sondern nach einem Holländer mit eigener Klärgrube.«
Ich musste lachen. Wir waren beide nicht so ganz sicher auf den Beinen, Nina wegen des Sekts, ich wegen der hohen Absätze. Arm in Arm stolperten wir in den Eingang. Dort lauerte eine lächelnde, blendend blonde Frau in einem Lodenkostüm Marke Waidmannsdank. Ich erkannte sie sofort an ihren großen, braunen Augen, obwohl sie früher dunkelblond gewesen und - Ehrenwort! - Senkbeil mit Nachnamen geheißen hatte.
»Nein«, rief sie froh. »Felicitas! Toll, dass du gekommen bist.«
Nina und ich starrten sie an. Gaby Senkbeil. Das zweitblödeste Mädchen der Stufe.
■What would you do if you get a Million Dollar?'
hatte unser Englischlehrer gefragt, als wir den
»Großen Gatsby« durchnahmen.
Und wer hatte sich gemeldet und mit engelhaftem Lächeln geantwortet >1 would give it all to the poor Richtig, Gaby Kuhauge. Jetzt hatte sie einen Holländer mit eigener Fäkalverwertung geheiratet und dazu passend Frau-Antje-blondes Haar.
»Und das ist doch nicht etwa Nina, Nina Herberger?«, schrie sie.
»Ich heiße jetzt Hempel«, sagte Nina so hoheitsvoll, wie es bei diesem Namen gerade noch möglich war.
»So heißt unser Hausarzt auch«, sagte Gaby prompt. »In der Ahornstraße.«
»Das ist mein Mann«, sagte Nina und schob mich weiter, bevor Gaby ihr Entzücken kundtun konnte.
»Jetzt wird sie allen schon an der Türe erzählen, dass ich einen Arzt geheiratet habe«, raunte sie zufrieden.
Auch im Inneren hielt die Gaststätte, was
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