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Die Laufmasche

Titel: Die Laufmasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Gier
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hatte, setzte Natalie alles daran, dass es ihre Freundin wurde. Sie beschenkte die Betreffende großzügig, lud sie zu sich nach Hause ein und setzte die schrecklichsten Gerüchte über mich in die Welt; diesbezüglich waren ihrer sonst spärlich ausgebildeten Fantasie keine Grenzen gesetzt. Eine Zeit lang war die ganze Klasse davon überzeugt, dass bei uns zu Hause das1 Lendenstück meines Ponys Clarabella als Weihnachtsbraten verzehrt worden war, dass mein Vater wegen Ladendiebstahls im Gefängnis gesessen hatte und dass meine Mutter eine Affäre mit dem achtzehnjährigen Tennistrainer unterhielt.
    Ganz gleich, was ich tat, Natalie wollte es auch tun, und natürlich immer eine Spur besser, schöner und teurer. Was bei mir ein kleines, dickes Pony war, wurde bei Natalie ein großes, schlankes Rassepferd, ein kleines Pony wurde eigens angeschafft, um dem Rassepferd Gesellschaft zu leisten. Mein Schüleraustauschprogramm nach London wurde von Natalie durch ein Highschool-Semester in Kalifornien übertrumpft. Clerasil hieß das Mittel gegen meine Pubertätspickel, bei Natalie war es ein vierwöchiger Aufenthalt auf einer Schönheitsfarm am Mittelmeer. Obwohl die Bemühungen, Natalie pickelfrei, schlank und gebildet zu gestalten, erfolgreich waren, gab es nicht einen Jungen in der ganzen Schule, der Natalie mochte. In der Abizeitung stand über sie: »... Aufsehen erregenden Gerüchten zufolge soll Natterlie in Gesellschaft eines männlichen Objekts gesichtet worden sein, das aus verständlichen Gründen anonym bleiben wollte.«
    Aber Natalie hatte niemals unter ihrer Unbeliebtheit gelitten. Im Gegenteil, sie schien alles zu tun, um die Antipathie ihrer Umgebung zu kultivieren. Auch jetzt erfasste sie das einzige Objekt in diesem Raum, um das es sich lohnte, in Konkurrenz zu treten: meinen grün- äugigen Pannenmann an der Theke! Er lehnte jetzt mit dem Rücken zur Wand, trank sein Bier und konnte jeden Atemzug hören, den wir taten. Natalie lächelte strahlend.
    »Hallo Felicitas, hallo Nina! Habt ihr etwa auf mich gewartet?«
    »Guter Witz«, antwortete Nina.
    Natalie musterte uns von oben bis unten.
    »Gottogott- ogott, habt ihr euch aufgekratzt.«
    Sie selber hatte sich den Räumlichkeiten perfekt angepasst. Sie trug eine schlammfarbene Bluse mit aufgesetzten Brusttaschen, auf denen ein teures Markenlogo prangte. Ihre Hose hatte die gleiche Farbe wie die Reso- palplatten ringsrum.
    Nina warf die Locken in den Nacken. »Wir sind heute noch zu einer Cocktailparty eingeladen«, log sie.
    Jetzt lächelte der Mann an der Theke mir zu. Ich lächelte wieselflink zurück.
    »Du hast eine Laufmasche«, sagte Natalie und zeigte mit den Fingern auf meine Strumpfhosen.
    Alle schauten auf meine Beine, auch der Typ mit den grünen Augen. Tatsächlich, durch die neuen Strümpfe lief eine Laufmasche, vom Knöchel bis hoch zum Hintern, wo der raffinierte Schlitz im Kleid aufhörte.
    »Oooooh«, stöhnte ich mit niedergeschlagenen Augen.
    Natalie zupfte ungefragt an meinem Knie herum und löste eine weitere Laufmasche aus. »Billige Strümpfe«, sagte sie naserümpfend.
    »Oh, ein Fall für .Wetten dass««, spottete Nina.
    »Wetten, dass Natalie Hoppe es schafft, am Zupfen einer Strumpfhose den Preis zu erraten?«
    Ich schaute wieder zu dem Grünäugigen hinüber, aber er schaute in sein Bierglas. Jetzt hatte ich meine Chance verspielt. Nur Schlampen tragen billige Strümpfe mit Laufmaschen. Ich seufzte verzweifelt, und da blickte er von seinem Bierglas auf und lächelte mir erneut zu. Ich lächelte auch.
    Scheiß auf die Laufmasche! Auf diese Weise hatte er wenigstens auf meine Beine gesehen!
    »Kommt dein Till heute Abend eigentlich auch?«, unterbrach Natalie unseren Blickflirt.
    »Welcher Till?«, fragte ich erschrocken zurück.
    »Du weißt schon, der Typ, der dich auf der Klassen- fahrt in Bingerbrück auf dem Damenklo der Jugendherberge entjungfert hat«, sagte sie, diabolisch grinsend.
    Mir stockte der Atem. Dem Grünäugigen, schien es, ebenfalls.
    »Ach, der Till«, erwiderte Nina an meiner Stelle.
    »Der, den du Felicitas mit allen Tricks ausspannen wolltest. Ich weiß noch, wie du ihn mit einer Jahreskarte für die Kölner Haie bestechen wolltest.
    Du hast erst aufgegeben, als Till 'Natterlie Hoppe ist eine widerliche Ziege mit platten Titten< an die Schulwand gesprüht hat.«
    »Damals waren wir noch Kinder«, sagte Natalie zu dem Grünäugigen und warf sich demonstrativ in die schlammfarbene Brust.
    »Und es gab noch

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