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Die Laufmasche

Titel: Die Laufmasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Gier
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sie von außen versprach. Dunkle Holzpaneele an den Wänden, dekoriert mit rustikalen Wagenrädern, Plastikmohnblumen und Weizenhalmen in Zinnkrügen mit eingravierten Jagdszenen. An der Theke, vor sich eine Stange Kölsch, standen ein paar Männer und fachsimpelten über den neuen Tormann vom FC Weidenpesch. Sie unterbrachen sich nur kurz, als wir reinkamen, um anerkennend durch die Zähne zu pfeifen.
    »Ihr müsst nach hinten durchgehen«, rief Gaby von der Tür aus. »In den Festsaal.«
    Gerade wollten wir ihren Worten Folge leisten, als ein weiterer Mann den düsteren Raum betrat. Als sein
    Blick flüchtig den meinen kreuzte, war es, als würde in mir ein verborgener Schalter umgelegt. Es fühlte sich an, als fließe das Blut plötzlich rückwärts durch meine Adern, und das, bevor ich überhaupt registriert hatte, dass der Neuankömmling wirklich brennend gut aussah. Die beeindruckende Körpergröße, die breiten Schultern, die dunklen Locken, die edle Hakennase, alles das bemerkte ich erst viel später, als mein Blut zwar wieder in die richtige Richtung floss, nur schneller als sonst. Es war eindeutig etwas anderes als das Äußere, was mich an diesem Mann magisch anzog, etwas, das ich nicht in Worte fassen konnte.
    »Eins, zwei, drei«, hörte ich Nina neben mir im Flüsterton die Sekunden zählen. Der Blick des Mannes streifte uns noch einmal flüchtig. Dabei sah ich, dass er dunkelgrüne Augen hatte, von dichten schwarzen Wimpern umrahmt. Ich seufzte unwillkürlich. Der Grünäugige lehnte sich über die Theke und sprach mit dem Wirt.

    Nina stieß mich unsanft in die Rippen. »Mach den Mund zu, das ist unvorteilhaft. Obwohl ich dich ja verstehe. Sieht wirklich nicht übel aus. War der bei uns in der Klasse?«
    »Nie im Leben«, sagte ich. Ich hatte Recht. Der Mann hatte sich hierher verlaufen. Sein Auto sei verreckt, erklärte er dem Wirt, ob er von hier den Pannendienst anrufen dürfe? Beim Klang seiner Stimme, einer reizvollen Mischung aus Tom Waits und der Synchronstimme von Tom Hanks, wurden meine Knie ganz weich. Ich musste ihn einfach weiter anstarren.
    »Los, sag was!«, forderte mich Nina auf und stieß mich wieder in die Rippen. Ich wünschte sie mindestens auf den Mond.
    Der Mann telefonierte kurz mit dem Pannendienst.
    Danach lehnte er sich lässig an die Theke und bestellte beim Wirt ein Kölsch.
    »Mach schon!« Nina trat mir auf den Fuß, auf meinen gerade von einer Nagelbettentzündung genesenden großen Zeh. Der Schmerz durchzuckte mich wie ein tückischer Blitzschlag, nur von unten nach oben. Aber was sollte ich sagen? Was, um Himmels willen, konnte ich sagen? Was musste ich sagen, damit er mich sympathisch fand?
    »Steh nicht da wie eine Salzsäule! Sag irgendwas«, zischte Nina am Ende ihrer Geduld.
    »Sag wenigstens ■hallo', sonst ist er wieder weg!«
    Aber wer in diesem Augenblick »Hallo« sagte, war nicht ich, sondern Natalie Hoppe, meine beste Feindin, die ausgerechnet jetzt das schummerige Szenario betreten musste.
    Natalie Hoppe war in derselben Straße groß geworden wie Nina und ich, und sie hatte auch dieselbe Klasse besucht. Sie gehörte zu der Sorte Mädchen, die immer ihre Hausaufgaben machen, niemals jemanden abschreiben lassen und dem Lehrer verraten, bei wem man stattdessen abgeschrieben hat. Natterlie die Schlange hatten wir sie genannt. Einmal, im sechsten Schuljahr, hatte sie in einer Mathearbeit restlos alles bei mir abgeschrieben. Sie war damals schon bösartig, hinterhältig und tückisch gewesen, aber noch nicht besonders schlau, denn sonst hätte sie von einem anderen abgeschrieben. Natalie und ich hatten also dreizehn höchst skurrile Fehler in der Arbeit, und als der Lehrer wissen wollte, wer von wem abgeschrieben hatte, sagte Natalie doch wahrhaftig, ich sei der Übeltäter gewesen. Der Lehrer glaubte ihr, zumal sie in den nächsten Arbeiten von besseren Schülern abschrieb. Dabei
    lag es auf der Hand, dass Natalie abgeschrieben hatte, denn sie war der geborene Nachmacher. Alles machte sie nach. Sie kopierte meine Frisuren, meine Klamotten, meine Sprechweise, meine Gestik, meine Mimik, einfach alles. Unsere Eltern gehörten dem gleichen Tennisclub an, und wenn Natalie nicht von mir herausbekam, wo ich meine wirklich originelle Latzhose herhatte, dann kitzelte ihre Mama es aus meiner Mama heraus. Es dauerte nie länger als zwei Tage, da tauchte Natalie mit dem gleichen Stück in der Schule auf und warf mir triumphierende Blicke zu.
    Wenn ich eine neue Freundin

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