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Die Launen des Teufels

Die Launen des Teufels

Titel: Die Launen des Teufels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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Ausbildung abgefunden, grübelte er. Doch da er nicht mehr lange in Ulm bleiben würde, waren diese Gedanken müßig.
    Trotz aller Konzentration schweifte er zu Anabel ab, die sich seit einiger Zeit regelmäßig in seine Kate schlich, um ihn nicht nur mit zusätzlichen Decken zu wärmen. Seine Männlichkeit zuckte, und er musste alle Selbstbeherrschung aufbringen, um sich auf die vor ihm liegende Aufgabe zu konzentrieren. Behutsam tauchte er die kleine Kelle immer wieder in den warmen Lehm, um diesen mit dem leicht gebogenen Schaber glatt zu streichen.
    Wie so oft in den vergangenen Tagen wog er die Risiken der geplanten Flucht ab, malte sich aus, welche Hindernisse sie überwinden mussten und womit sie in dieser Zeit der zunehmenden Gesetzlosigkeit zu rechnen hatten. Würde Conrad sie bei der Stadtwache anzeigen, oder würde ihn die Scham darüber, was er seiner eigenen Tochter angetan hatte, schweigen lassen? Er verzog das Gesicht zu einer Grimasse. Sicherlich nicht! Wenn er den Gießer richtig einschätzte, würde dieser keinen Augenblick auf Reue verschwenden.
    Eine unter seinen Händen auftauchende Kerbe ließ ihn die Konzentration zurück auf das Werkstück richten, nur um wenig später erneut abzuschweifen. Würde es ihm gelingen, Anabel vor all der Unbill und all den Gefahren, die außerhalb der schützenden Stadtmauern lauerten, zu bewahren? Bangigkeit stieg in ihm auf, als er an die Gerüchte dachte, die überall kursierten. Den Berichten einiger Reisender zufolge herrschte im Umland ein Zustand vollkommener Herrschaftslosigkeit, da ein Großteil der Grundbesitzer und Landadeligen der Pest zum Opfer gefallen waren. Was dazu geführt hatte, dass die ehemals leibeigenen Bauern und Tagelöhner die Kontrolle über die Ländereien, Dörfer und sogar Gutshöfe übernommen hatten. Manche erzählten gar von belagerten Landsitzen, in denen die Mitglieder der Patrizierfamilien, die sich aus der Stadt geflüchtet hatten, um einer Ansteckung zu entgehen, um ihr Leben bangen mussten. Er holte tief Luft und schluckte die Sorgen. Was machte es für einen Sinn, sich vor dem zu fürchten, was unausweichlich war? Was immer sie dort draußen erwarten mochte, es konnte kaum schlimmer sein, als weiterhin Conrads Launen unterworfen zu sein. Mit einem energischen Schwung des Spatels wischte er die Beklemmung beiseite und vollendete die falsche Glocke.
    Einige Stunden später, als er mit zwischen die Zähne geklemmter Zunge an einem Laudate Dominum – einem Lobet den Herrn – arbeitete, ließ ihn das Knurren seines Magens aufschrecken. Da sich die wächsernen Lettern als widerspenstiger erwiesen hatten als erhofft, hatte er über seinen Bemühungen völlig die Zeit vergessen. Mit einem schuldbewussten Blick auf Göswin, der sich unter dem trichterförmigen Rauchabzug der Esse zu schaffen machte, sprang er auf, wischte sich die schmierigen Hände an der Lederschürze ab und griff nach dem Korb, den er bei den Gusspfannen abgestellt hatte. »Warum hast du nichts gesagt?«, fragte er zerknirscht und zog sich die Arbeitskleidung über den Kopf. »Du musst am Verhungern sein.«
    Göswin, der bereits zwei Stunden vor Bertram den Dienst in der Gießerei angetreten hatte, schüttelte lächelnd den Kopf und wies auf ein kleines Beutelchen unter dem an der Wand stehenden Tisch. »Meine Gisela hat mir ein Stück Hirsekuchen mitgegeben. Damit ich nicht vom Fleisch falle.« Seine grauen Augen funkelten belustigt. »Aber ich könnte tatsächlich etwas Kräftigeres vertragen.«
    Mit einem Nicken hob Bertram den Korb vom Boden, ignorierte den wollenen Mantel an einem der Haken und stieß die windschiefe Tür auf. Die Vorfreude auf das bevorstehende Mahl ließ ihm das Wasser im Munde zusammenlaufen, und als er kurze Zeit später den Eingang zu den Drei Kannen erreichte, stieg ihm der verlockende Duft von Bratensaft und frischem Brot in die Nase. Ohne zu zögern eilte er in die Herberge, bis er einen rußgeschwärzten Durchgang erreichte, hinter dem das Scheppern von Töpfen und das Klirren von Metall verriet, dass die Köchin in ihrem Element war. Räuspernd schob er sich in den von mehreren Kochfeuern erhitzten Raum, hob den Korb und errötete, als die vollbusige Ursella ihn mit einem Augenzwinkern begrüßte. Da Gertrud kaum mehr ihr Schlafgemach verließ, bezogen sie seit etwa zwei Wochen ihre Mahlzeiten aus der Küche der Drei Kannen, und obschon sie mindestens doppelt so alt war wie Bertram, schien die dralle Köchin einen Narren an ihm

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