Die Launen des Teufels
räumte alle Skrupel aus dem Weg. Was sein musste, musste sein! Wem würde in Zeiten wie dieser schon auffallen, ob jemand eines gewaltsamen Todes gestorben oder der Pest erlegen war? Der Gedanke vertiefte sich. Egal wie, er würde sich den Nebenbuhler vom Hals schaffen, dann würde die Wahl mit Sicherheit auf ihn fallen. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass sich damit auch die Drohung des Aldermans in Luft auflösen würde! Doch es musste schnell geschehen, solange die übrigen Zunftmitglieder noch unschlüssig waren, beziehungsweise sich lediglich aus Furcht vor Henricus hinter die Gegenseite stellten. Wenn Henricus seinen Kandidaten nicht beschützen konnte, würde seine Macht im Rat abbröckeln wie trockener Putz!
Kapitel 30
»Vorsichtig!« Mit einem Griff ans Handgelenk hielt Göswin Bertram davon zurück, erneut den hölzernen Schaber über die Lehmschicht zu ziehen, welche den gemauerten Glockenkern überzog. Nachdem dieser innen hohle, aus Ziegeln bestehende Kern ausgebrannt worden war, hatten die beiden die raue Oberfläche so lange sorgfältig mit Lehm verkleidet, bis diese sich makellos glatt und eben wölbte.
»Wenn du zu oft darüber gehst, entstehen Risse«, warnte Göswin, der seit Anselms Tod zu einem Freund für Bertram geworden war. Da Conrad seit seiner Wahl in den Stadtrat kaum mehr in der Glockenhütte anzutreffen war, hatte Göswin die Aufgabe übernommen, Bertram in die Geheimnisse des Formenbaus einzuweihen. Was dazu geführt hatte, dass sich das, was vorher nur aus Wissensfragmenten bestanden hatte, allmählich zu einem vollständigen Bild für den Knaben zusammenfügte.
»Solange diese hier austrocknet, können wir uns um die kleinere dort drüben kümmern.«
Gehorsam legte Bertram den Schaber zur Seite und folgte dem Gesellen zu einem weiteren Kern, dessen unterste Lehmschicht bereits mit Talg bestrichen war.
»Hier«, sagte Göswin und reichte ihm einen der größeren Spatel, mit denen sie einen etwas feineren Lehm auf den Talg aufbrachten. Diese Schicht, so hatte der Geselle Bertram erklärt, stellte den wichtigsten Teil der Glocke – die sogenannte falsche Glocke – dar, die nach dem Aushärten zerschlagen wurde, damit der so entstandene Hohlraum mit der Schmelze gefüllt werden konnte. Sobald die falsche Glocke ausgehärtet war, wurden auf ihr Verzierungen und Schriften aus Wachs angebracht, die wiederum mit Lehm bestrichen wurden. Damit sich die Verzierungen auch in dem Lehm dieser letzten Schicht – des Mantels – abbildeten, war dieser von höchster Qualität und Feinheit und erforderte beim Auftrag ein Höchstmaß an Konzentration. Wenn der Mantel fertig war, wurde das ganze Gebilde ein weiteres Mal mit einem Feuer im hohlen Glockenkern ausgebrannt, woraufhin der Mantel abgehoben und die falsche Glocke zertrümmert werden konnte. Daraufhin wurde der Mantel wieder aufgesetzt, was dazu führte, dass sich zwischen ihm und dem Kern der Hohlraum befand, in den die flüssige Bronze mit allergrößter Sorgfalt eingefüllt wurde.
»Wenn wir in dieser Geschwindigkeit weitermachen, können wir morgen mit dem Gießen beginnen«, ließ Göswin ihn nach einem prüfenden Blick auf das halbe Dutzend Formen wissen. Seit dem Weihnachtsfest hatten sie bereits eine Handvoll kleinerer Glocken fertiggestellt, die Conrad höchstpersönlich ausgeliefert und mit aufgezogen hatte. Dieser Teil der Arbeit schien ihm im Moment am meisten zuzusagen, was Göswin immer wieder unschmeichelhafte Kommentare über den Meister entlockte. »Wann darf ich meine erste Inschrift machen?«, fragte Bertram ungeduldig, da ihm die Arbeit trotz der körperlichen Härte inzwischen Freude bereitete. Zwar schmerzten seine malträtierten Rippen noch manchmal, doch schien die Bewegung den Heilprozess zu unterstützen.
»Bald«, erwiderte Göswin und grinste kopfschüttelnd, als Bertram strahlte wie ein beschenktes Kind.
Wie ähnlich das Modellieren einer falschen Glocke dem Bearbeiten eines feinen Steins war!, dachte der Knabe, während er sorgfältig die flache Klinge über die Form zog. Hatte er zu Beginn seiner Fron gedacht, der Tätigkeit in der brütend heißen Hütte niemals etwas Positives abgewinnen zu können, hatte sich seine Meinung in den vergangenen Wochen geändert, da das beschwerliche Ausheben und Zuschütten der Gruben nur ein Teil der ansonsten interessanten Arbeit darstellte. Wäre sein Schicksal anders verlaufen, hätte er sich vielleicht im Laufe der Zeit mit dieser Wendung seiner
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