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Die Launen des Teufels

Die Launen des Teufels

Titel: Die Launen des Teufels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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gefressen zu haben.
    »Bertram«, säuselte sie und schob sich mit all ihrer bedrohlichen Fülle auf ihn zu, um ihm über den Schopf zu fahren. »Du bist spät dran heute.« Leiser Tadel schwang in ihrer tiefen Stimme mit, der sich jedoch sofort in Luft auflöste, als Bertram entschuldigend die Schultern hob.
    »Die Glocke musste fertig werden«, schwindelte er und beäugte neugierig das Paket, das sie für ihn schnürte. Außer frischem Mischkornbrot gehörte das meist noch warme Schweineschmalz genauso zu ihren täglichen Mahlzeiten wie das gesottene und gebratene Fleisch, der Käse und die Eier. Manchmal jedoch – und dies schien heute der Fall zu sein – verwöhnte Ursella sie mit gegrilltem Fisch oder frischer Blutwurst. Als sie mit einem verschwörerischen Ausdruck auf dem rotwangigen Gesicht in einen flachen, tönernen Topf fuhr und mit einem Messer vier Scheiben Hühnerbrust abschnitt, quollen Bertram beinahe die Augen über. Mit geübten Bewegungen tauchte sie diese Köstlichkeit in den mit Mandelmilch, Speck und Honig verfeinerten Saft, bis die Brust sich damit vollgesogen hatte, und wickelte das Ganze in ein geöltes Tuch.
    »Das musst du aber für dich behalten«, warnte sie nur halb im Scherz, reichte dem Knaben den bis zum Rand gefüllten Korb und kniff ihm in die Wange. »Sonst reißt mir Friko den Kopf ab.«
    Nachdem Bertram ihr artig gedankt hatte, entwand er sich ihren gut gemeinten Liebkosungen, eilte zurück auf die Straße und brachte sich und das Essen so schnell als möglich in der Glockenhütte in Sicherheit. Dort fiel er zusammen mit Göswin über das Mahl her, bis auch die winzigste Krume verzehrt war, bevor sie sich wieder an die unterbrochene Arbeit machten.
    Während sich draußen die Dämmerung über die schneebedeckten Dächer senkte, steuerte Bertrams Verstand in eine Richtung, die ihm seit geraumer Zeit Unbehagen bereitete. Während seine Hände mechanisch die weiche Oberfläche des Mantels glätteten, kämpfte sein Gewissen gegen die Barrieren an, die er errichtet hatte.
    Er biss heftig die Zähne aufeinander, als das Schreckgespenst seines ausgemergelten Vaters vor seinem inneren Auge auftauchte. Das Gesicht, das in seiner Erinnerung von energischen Kanten beherrscht wurde, wirkte in der fahlen Hohlwangigkeit, die ihm entgegenglotzte, alt und todgeweiht. Die allgegenwärtigen, bläulich-violetten Todesflecken, welche die sich in den Straßen stapelnden Leichen entstellten, verzerrten die in seiner Fantasie aufsteigenden Züge des Steinmetzen bis zur Unkenntlichkeit. Nur mühsam unterdrückte der Knabe ein Zittern. Anders als er Anabel gegenüber behauptet hatte, war ihm das Schicksal seines Vaters alles andere als gleichgültig. Zwar hatten selbstgerechter Zorn und Verbitterung zuerst dafür gesorgt, dass er den Mann, der ihn in die Sklaverei verkauft hatte, nächtelang verfluchte. Doch waren diese dunklen Gefühle schon längst der Sorge um sein Wohlergehen gewichen. Wenn Anabel sich nicht geirrt hatte und er um Almosen bettelnd durch die Straßen Ulms ziehen musste, war die alles vernichtende Seuche nicht die einzige Gefahr, die sein Leben bedrohte.
    Ein durch die sich öffnende Tür hereinfallender Windzug ließ ihn frösteln.
    »Ich sehe, ihr kommt ohne mich zurecht«, riss ihn die Stimme des Glockengießers, der mit einem prüfenden Stirnrunzeln die Arbeit der beiden begutachtete, aus dem dumpfen Brüten. »Fein.« Er klatschte in die Hände. »Dann kann ich mich meinen anderen Verpflichtungen widmen.«
    Damit verschwand Conrad genauso schnell, wie er gekommen war, was Göswin dazu veranlasste, entnervt den Kopf zu schütteln. »Wenn ich schon die ganze Arbeit für ihn mache«, beklagte er sich, »dann sollte ich wenigstens den Lohn eines Meisters bekommen.«
    Bertram nickte abwesend und bückte sich nach einem feinen Ledertuch, um der Lehmschicht den letzten Schliff zu geben.
    Als er am Abend zwar erschöpft, doch – dank Ursellas Kochkünsten – satt den Weg in seine windschiefe Kate einschlug, erwartete ihn Anabel, deren Gesicht im Schein des Kerzenleuchters ungewohnt bleich wirkte. Jeden Tag schien sie den ärmlichen Raum mehr mit dem Zauber ihrer Anwesenheit zu verändern, und als Bertram die beiden Schaffelle erblickte, die sie über dem Stroh ausgebreitet hatte, erhellte sich seine Miene. Nicht nur hatte sie den fauligen Bodenbelag durch frische, duftende Halme ersetzt; auch der kleine, tragbare Ofen sorgte für ein wesentlich angenehmeres Klima, als Bertram es

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