Die Launen des Teufels
Gefahr nicht zu erkennen?! Er stieß die Luft aus den Lungen, als ihm die Antwort auf diese Frage klar wurde. Er hatte keinen Hinterhalt vermutet, weil er mit den Gedanken bereits in Ulm war. Sein Herz zog sich schmerzhaft zusammen. Wenn er nur nicht zu spät kam! Die Erinnerung an den Besuch des Helfensteiner Ritters ließ ihn zum wohl hundertsten Mal wünschen, er habe schon damals gewusst, was ihm seine Spione erst vor wenigen Tagen zugetragen hatten. Als der mit Katharinas Wappen geschmückte Bote bei ihm vorgesprochen hatte, hatte er auf der Stelle eine Falle des Grafen von Württemberg gewittert, weshalb er dem Mann eine Antwort mit auf den Weg gegeben hatte, die sowohl ihn als auch seine Geliebte vor der Rache Ulrichs schützen sollte.
Wie hatte er auch wissen können, dass es tatsächlich Katharinas Abgesandter gewesen war, dem er die leugnenden Worte ins Gesicht geschleudert hatte?! Wenn er nicht um ihr Leben gebangt hätte, wäre die feige Lüge niemals über seine Lippen gekommen, und er wäre auf der Stelle zu ihr geeilt, um ihr seine Ergebenheit zu beweisen. Als ihm einer seiner Männer vor wenigen Tagen mitgeteilt hatte, dass sich die Dame seines Herzens auf Befehl ihres Gemahls auf dem Weg nach Hohenneuffen befand, hatte er sich die Haare gerauft und sich einen Idioten gescholten. Denn sicherlich würde der gehörnte Ulrich von Württemberg alles unternehmen, um den Beweis der Untreue seiner Gattin aus dem Weg zu schaffen! Er schloss einen Moment die Augen. Da ihn derselbe Bote von der Wendung des Schicksals in Kenntnis gesetzt hatte, die Katharina in Ulm festhielt, war er trotz der überall wütenden Pest sofort aufgebrochen, um den furchtbaren Fehler wieder gut zu machen. Wenn sich diese Reise jedoch weiterhin so entwickelte, musste er sich glücklich schätzen, wenn er überhaupt jemals in der Reichsstadt eintraf.
Der dumpfe Hall der Hufe wurde von den Hügeln zurückgeworfen, und als sich nach einer halben Stunde scharfen Rittes schließlich die Umrisse der Brenzer Galluskirche am Horizont abzeichneten, atmete er erleichtert auf. Misstrauisch beäugte er die ärmlichen Bauernkaten links und rechts des Weges, während er sich dem Schloss näherte, das direkt an die Basilika anschloss. Nachdem er den Anstieg zum Kirchberg bezwungen hatte, nannte er dem schwer bewaffneten Torwächter seinen Namen, woraufhin dieser die Winde betätigte. Kaum überspannte die Zugbrücke den tiefen Burggraben, trabte Wulf in den Hof, saß ab und drückte einem herbeieilenden Bediensteten die Zügel in die Hand. Daraufhin folgte er einem zweiten Lakaien, der ihn die überdachten Treppen hinauf ins Obergeschoss der Burg führte, wo ihn Dietmut von Güssenberg empfing. »Wulf«, begrüßte dieser den Besucher strahlend. »Welch unerwartete Überraschung!«
Das prachtvolle Doppelkinn des Adeligen wippte bei jedem Wort auf dem Kragen seines altmodischen Surkots auf und ab. »Wie lange ist es her?«
Dankbar ergriff Wulf die ihm dargebotene Hand und schüttelte diese herzlich. »Ich weiß nicht, altes Fossil«, erwiderte er grinsend und klopfte dem kahlköpfigen Güssen auf die Schulter. »War es der Pferdemarkt im vergangenen Jahr oder das Treffen in Schwäbisch Hall?« Sein Feixen wurde breiter. »Ich weiß nur, dass Ihr mir wie jedes Mal die besten Angebote vor der Nase weggeschnappt habt.«
Sein Gastgeber strahlte, als habe er soeben ein nicht zu übertreffendes Kompliment erhalten, und schob Wulf in Richtung Halle. »Kommt, teilt einen Krug Wein mit mir.« Die leicht schwammige Aussprache und die glühenden Wangen des alten Mannes ließen Wulf vermuten, dass es sich nicht um den ersten Trunk des Tages handelte. Doch da er Dietmuts Trinkfestigkeit bereits mehr als einmal bewundert hatte, wusste er, wie viel der alte Mann vertrug. Mit einem Seufzer ließ er sich in der wohlig warmen Halle neben den Herrn des Hauses fallen, der einem Pagen zu verstehen gab, seinem Besucher die Rüstung abzunehmen. »Ich hasse diese Dinger«, vertraute er Wulf verschwörerisch an, der sich – von dem schweren Eisenpanzer befreit – genüsslich zurücklehnte, um den dampfenden Trunk zu genießen. »Wenn ich an all die wunden Stellen denke, die ich mir früher immer zugezogen habe.« Er verzog schmerzhaft das Gesicht. »Aber sagt, was führt Euch hierher?«
Einen kurzen Moment erwog Wulf, ihm die Wahrheit anzuvertrauen, entschied sich jedoch dagegen, da allein dieses Wissen nicht abzuschätzende Folgen für den gutmütigen Adeligen haben
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