Die Launen des Teufels
zornigen Miene ihres Vaters Beachtung zu zollen. »Er ist unschuldig.«
Mit einem Kopfnicken gab der Befehlshaber einer der Wachen zu verstehen, sich um sie zu kümmern, woraufhin diese sich breitbeinig vor Anabel aufbaute und ihr den Weg verstellte. »Du kannst nicht mitkommen«, brummte er mürrisch. »Er wird ins Gefängnis geschafft.« Als sie versuchte, sich an ihm vorbeizudrängen, packte er sie hart am Arm und schüttelte sie. »Geh zurück nach Hause. Oder du wirst es bereuen!«
Der Schmerz ernüchterte die hysterische junge Frau, und wenngleich sie ihm am liebsten ins Gesicht gebrüllt hätte, senkte sie resigniert den Kopf und nickte gehorsam. Nachdem er sie zur Glockenhütte zurück geleitet hatte, warf er ihr einen letzten warnenden Blick zu und verschwand im Nebel.
Unendliche Stunden schienen verstrichen zu sein, als Anabel es endlich wagte, dem Befehl zuwiderzuhandeln und erneut in die turbulente Nacht hinauszuschleichen. Die Kapuze ihrer Glocke tief ins Gesicht gezogen, vermied sie die brodelnden Straßen und Tavernenvorhöfe und eilte ohne sich umzublicken nach Süden. Da das Gefängnis der Stadt im Metzgerturm – einem Teil der Stadtmauer – untergebracht war, wandte sie sich kurz hinter dem Rathaus nach links, um die steile Gasse hinab zu dem schief aufragenden Gebäude zu huschen und sich dort im Schatten der schäbigen Wohnhäuser der Armen zu verstecken. Die in eisernen Haltern flackernden Fackeln tauchten die Umgebung des Turms in ein gespenstisch gelbliches Licht, das die hier gehäuft auftretenden roten Tücher an den zugenagelten Türen aufleuchten ließ. Mit einem Schaudern malte Anabel sich die im Inneren eingesperrten Kranken aus, denen in diesem Viertel der Stadt keinerlei Hilfe zuteil wurde.
Ein Klappern in ihrem Rücken ließ sie herumwirbeln, doch es handelte sich lediglich um einen Fensterladen, der im leichten Wind hin und her schaukelte. Frierend rieb sie die Handflächen aneinander, während sie jede Bewegung der vor dem Gefängnis Wache stehenden Männer beobachtete. Hatten sie Bertram bereits hierher gebracht oder wurde er in der Wachstube verhört? Nicht sicher, wie eine Verhaftung vor sich ging, kauerte sie sich hinter ein umgedrehtes Holzfass und wartete ab. Immer wieder erschienen Bewaffnete mit zum Teil übel zugerichteten Gefangenen, die sie dem Kerkermeister unter derben Scherzen und groben Schlägen übergaben. Hie und da drang ein Schrei aus dem Inneren des Turms, der Anabel das Blut in den Adern gefrieren ließ. Stunde um Stunde verstrich, ohne dass Bertram am Eingang des Gefängnisses auftauchte, und als Anabel schließlich die Zehen abstarben, beschloss sie schweren Herzens, sich auf den Weg zurück zur Glockenhütte zu machen.
Erschöpft und ausgelaugt trottete sie blindlings durch den Dunst und wollte gerade in die Straße einbiegen, an deren Ende das Haus ihres Vaters lag, als wie aus dem Nichts drei riesige Kerle vor ihr auftauchten, die sie im Handumdrehen umringten.
»Na, meine Schöne«, lallte der größte von ihnen. »Was machst du denn so ganz allein?« Eine Pranke schlang sich von hinten um Anabels Taille, und bevor sie sich versah, hatte einer der Männer sie vom Boden aufgehoben, um sie wie eine Puppe hin und her zu schleudern.
»Hört auf damit!«, rief sie erschrocken und trat um sich, um die anderen davon abzuhalten, unter ihre Röcke zu fahren. »Lass mich runter!«
Der Griff um ihre Mitte verstärkte sich, als der Riese sie fester an sich presste, um ihren Hals mit feuchten Küssen zu bedecken. »Zier dich doch nicht so«, prustete er und knabberte an ihrem Ohr. »Es ist Fastnacht.«
Mit einem schrillen Schrei brachen sich Furcht, Panik und unverhofft aufwallender Zorn Bahn, als Anabel ohne nachzudenken den Ellenbogen anwinkelte und ihrem Bedränger in die Magengrube rammte. Ein Schmerzenslaut entrang sich dem betrunkenen Narren, bevor er seine Beute freigab und schwankend in die Knie brach. Kaum hatten sie begriffen, was mit ihrem Kameraden geschehen war, wollten sich die beiden anderen auf das am Boden liegende Mädchen stürzen, das sich jedoch mit der Behändigkeit einer Katze aufrappelte und zwischen ihren Beinen davonschlüpfte. Zu benebelt, um rechtzeitig zu reagieren, blieb den beiden nichts anderes übrig, als ihr lästerliche Obszönitäten hinterher zu brüllen, die jedoch lediglich von den Häuserwänden widerhallten.
Mit bis an den Hals hämmerndem Herzen flog Anabel über das schlüpfrige Kopfsteinpflaster und hielt erst an,
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