Die Launen des Teufels
als sie die Glockenhütte erreicht hatte. Dort blickte sie sich heftig atmend über die Schulter um, bevor sie in Bertrams Kate schlüpfte und die aufgebrochene Tür hinter sich zuschlug.
Einige Zeit lauschte sie in die Dunkelheit, die in wenigen Stunden der Dämmerung weichen würde, während sich die Gedanken in ihrem Kopf jagten. Wie war so eine himmelschreiende Ungerechtigkeit möglich?, fragte sie sich bitter und verzog freudlos den Mund, als sie an den Morgen dieses Tages zurückdachte. Der Kuhhandel mit dem Fernhändler, an den ihr Vater sie mehr oder weniger verschachert hatte, erschien ihr im Licht der Ereignisse der Nacht lächerlich und unbedeutend. Hatte sie bei ihrer Ankunft im Hospital noch mit ihrem Schicksal gehadert und sich zum wiederholten Mal gefragt, warum Gott sie so hart bestrafte, verblasste ihr eigenes Schicksal vor Bertrams Verhaftung zur Unbedeutsamkeit. Ihre Beine versagten den Dienst. Mit einem gequälten Stöhnen ließ sie sich auf die Knie fallen und umfasste das Kruzifix um ihren Hals. Wie hatte sie sich geschämt, Katharina von Helfenstein zu belügen! Da diese am heutigen Tag in eine Herberge umgezogen war, hatte sie Anabel gebeten, ihr für die Dauer ihres Aufenthalts in Ulm als Zofe zu dienen. Rot vor Scham hatte das Mädchen dieses Angebot angenommen – wohl wissend, dass am nächsten Morgen bereits mehrere Meilen zwischen ihr und der Reichsstadt liegen würden. Doch jetzt hatte sich alles geändert! Tränen der Machtlosigkeit rannen ihre Wangen hinab und tropften in das trockene Stroh. Wieder einmal hatte ihr Vater das Leben eines Unschuldigen zerstört! Überwältigt von dem Aufruhr der Gefühle senkte sie den Kopf und ließ ihrer Trauer freien Lauf, bis sich ihre Schluchzer in einen abgehackten Schluckauf verwandelten. Zittrig wischte sie sich über die Augen und holte stockend Atem. Sie würde Bertram ausfindig machen und seine Unschuld beweisen! Und wenn sie dafür ihr eigenes Leben riskieren musste!
Der Blick ihrer verweinten Augen fiel auf das achtlos am Boden liegende Bündel. Unsicher, beinahe vorsichtig streckte sie die Hand danach aus und zog es näher, während sich in ihrem Gehirn ein Plan formte. Sie würde die Stellung als Zofe antreten, beschloss sie trotzig und stemmte sich auf. Auch wenn es sich nur um einige Tage handelte, bot ihr dieses Angebot wenigstens die Möglichkeit, der Gewalt ihres Vaters zu entkommen. Mit schwachen Beinen steuerte sie auf den Ausgang zu, um sich erneut in die Nacht hinauszuwagen. Je schneller sie diesen Ort verließ, desto besser. Ganz egal, was geschah, schwor sie sich, sie würde eher sterben, als die Gemahlin dieses alten Bockes Egloff zu werden!
Etwas zuversichtlicher zog sie die Tür hinter sich ins Schloss und verschwand im Nebel, ohne sich ein letztes Mal umzublicken.
Kapitel 35
Schlotternd vor Kälte, Schmerz und Todesangst fixierte Bertram mit seinem nicht zugeschwollenen Auge den einfachen Steinboden der Wachstube, in der er seit mehreren Stunden festgehalten wurde. Die Stricke um seine Handgelenke waren inzwischen schweren Eisenketten gewichen, die durch einen Ring in der Wand gezogen worden waren. Außer dem einsilbigen Wachmann, der an dem groben Holztisch in der Mitte der Stube in einer Schale herumstocherte, befanden sich noch zwei Bewaffnete und ein weiterer Gefangener in dem Raum, der nach Schweiß und Erbrochenem stank. Hinter einer schweren Eichentür am anderen Ende der Stube murmelten immer noch die gedämpften Stimmen des Hauptmannes, dreier weiterer Männer und des Glockengießers, der Bertram eine eindringliche Warnung ins Ohr geflüstert hatte. »Wenn der kleinen Schlampe kein Leid geschehen soll, behalte deine Lügen für dich!« Entsetzt über die Kaltschnäuzigkeit, mit der Conrad ihm in einem Atemzug drohte und die Wahrheit verdrehte, hatte Bertram lediglich den Mund aufgerissen, den sofort darauf der Schlag eines Wächters getroffen hatte. Zwar hatte seine Lippe inzwischen aufgehört zu bluten, und auch das Pochen in seiner Nase hatte nachgelassen. Doch schienen ihn Furcht und Grauen von innen her aufzufressen. Seine nach oben gebundenen Arme wurden immer schwerer, doch als er die Wachen gebeten hatte, seine Ketten ein wenig zu lockern, hatten diese lediglich höhnend gelacht. Vor einiger Zeit hatte ein Bediensteter den durch die Tür abgetrennten Raum verlassen, um kurz darauf mit einem prunkvoll gekleideten Patrizier und einem verhüllten Franziskanerbruder zurückzukehren, doch seitdem
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