Die Launen des Teufels
und auch in Anabel verstärkte sich die drückende Bangigkeit.
Nachdem der Ritter am frühen Morgen aufgebrochen war, um ein Ochsenfuhrwerk und Vorräte zu erstehen, hatten die Damen die Zeit damit verbracht, sich um die notwendigen Reisevorbereitungen zu kümmern. So hatte Anabel dem kleinen Wulf das erste Mal das lederne, mit frischer Kuhmilch gefüllte Fläschchen gegeben, an das sich der Knabe in den nächsten Wochen gewöhnen musste. Da es ihr und Bertram vermutlich unmöglich sein würde, täglich eine Amme für das Kind zu finden, hatte sie sich von der Apothekerin in die alternativen Geheimnisse des Stillens einweihen lassen. Zu Katharinas und ihrer Erleichterung hatte der Junge die Nahrungsumstellung ohne Protest akzeptiert, doch wenn Baldewin nicht in absehbarer Zeit auftauchte, würde diese Tatsache keine Rolle mehr spielen, da sie alle in höchster Gefahr schwebten.
»Bist du sicher, dass du nichts vergessen hast?«, erkundigte sich die aufgewühlte Katharina zum wiederholten Mal, und Anabel nickte. »Wenn du keine anderweitige Nachricht erhältst, wende dich in genau einem Jahr an die genannte Adresse«, frischte sie die Anweisungen auf. »Die Botschaft muss so verfasst sein, dass sie keinen Schaden anrichten kann, sollte sie in die falschen Hände fallen.« Ihr Sopran drohte zu kippen. »Seid beruhigt«, versicherte Anabel, die keinesfalls so zuversichtlich war, wie sie wirkte. »Ich werde dafür sorgen, dass ihm nichts geschieht.« Sie wollte gerade etwas hinzufügen, als das Klappern von Hufen sie aufhorchen und erneut ans Fenster eilen ließ.
»Er ist da!«, rief sie erleichtert aus und zog die Kapuze über den Kopf. »Ich weiß nicht, wie ich Euch danken soll«, sagte sie ergriffen und blickte zu Katharina auf, die vollkommen erbleicht war. »Gott behüte Euch«, flüsterte sie. »Ihm wird kein Leid geschehen, das verspreche ich Euch.«
Nachdem die Gräfin dem Kind auf Anabels Armen einen endgültigen Kuss auf die Wange gedrückt hatte, wandte sie sich mit vor den Mund geschlagener Hand ab und sackte auf einem der Schemel zusammen. Das Leid der ihres Sohnes beraubten Mutter schmerzte Anabel beinahe körperlich, und bevor auch sie die Kontrolle über ihre Gefühle verlor, hastete sie die engen Stufen hinab vor die Tür, wo Baldewin ihr ohne unnötige Worte auf den Bock half. Mit einem Klatschen ließ er die Zügel auf die Rücken der beiden starken Zugtiere fallen und lenkte den mit einer Leinwand überspannten Karren nach Süden.
Bereits nach wenigen hundert Schritten bog er links ab, um kurz darauf vor einer kleineren Taverne haltzumachen. Dort sprang er zu Boden, reichte Anabel die Hand und befahl einem rußverschmierten Bengel, die Tiere in den Stall zu führen und zu füttern. Daraufhin bugsierte er Anabel in die überfüllte Schankstube, wechselte einige Sätze mit dem frettchenhaften Besitzer des Tanzenden Trolls und befahl ihr knapp: »Warte hier auf mich. Ich komme zurück, sobald die Gräfin in der Obhut der Gesandtschaft ist.« Sein Mund verzog sich zu einem schmalen Schlitz. Mit einer nicht zu verstehenden Verwünschung kehrte er dem Mädchen abrupt den Rücken und eilte aus der Wärme der Stube hinaus in die Kälte, die unter der Tür ins Innere des Schankraumes drückte. Immer noch fröstelnd rückte Anabel näher an das sparsame Feuer, um das sich zu dieser frühen Stunde bereits eine Handvoll Zecher scharte, die sie mit neugierigen Blicken bedachten. Da sie der bewaffnete Begleiter abgeschreckt zu haben schien, kehrten sie jedoch rasch zu ihrer gemurmelten Unterhaltung zurück und zollten der jungen Frau keine weitere Aufmerksamkeit.
Als wenig später ein Krug warmen Wacholderbieres vor Anabel auf dem Tisch auftauchte, legte sie dankbar die Hände an das Metall und versank in beklommenem Brüten. Was, wenn Katharinas Plan fehlschlug, und man Baldewin den Gefangenen nicht aushändigte? Was, wenn die Wächter das Siegel des Grafen von Württemberg, mit dem sie das Schriftstück verschlossen hatte, nicht kannten oder auf eine Bestätigung des Hauptmanns warteten? Sie stützte das Kinn in die Handflächen und starrte blicklos auf die Tischplatte. Zwar hatte man Baldewins Aussage aufgenommen, doch was würde geschehen, wenn es Conrad dennoch gelang, seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen? Würde der Bürgermeister ihnen die Stadtwache hinterher schicken? Würde man sie zu Gesetzlosen erklären?
Ihre Brust verengte sich, und nur mit Mühe gelang es ihr, das würzige Getränk die
Weitere Kostenlose Bücher