Die Launen des Teufels
Württemberg«, erklärte er ruhig und hielt dem ersten Wachhabenden die Nachricht unter die Nase. Da dieser offenbar nicht lesen konnte, winkte er einen seiner Kameraden näher, der das Schriftstück misstrauisch beäugte.
»Das ist das Wappen des Grafen«, bestätigte dieser nickend. »Ich kenne es. Um welchen Gefangenen handelt es sich?«
Voller Unruhe beobachtete Anabel den Austausch. Wenn die Männer die List durchschauten, würde man nicht nur Baldewin, sondern auch sie selbst verhaften, und alles wäre umsonst gewesen! Verängstigt duckte sie sich noch tiefer in die Schatten des Wagens, um auf keinen Fall von den Wachen entdeckt zu werden.
»Geri!« Der Schrei des Hellebardenträgers ließ Anabel zusammenfahren. »Geri!«
Als kurz darauf ein hässlicher Kerl mit nur einem Auge vor das Tor trat, zog es Anabel den Magen zusammen. Deutlich sichtbar prangte ein riesiger Blutfleck auf einem ehemals weißen Hemd, das kaum den fetten Bauch bedeckte.
»Was gibt es?«, schnarrte er und legte den Kopf schief, um Baldewin kritisch zu betrachten. »Ich war beschäftigt.« Ein Lächeln verzog den zahnlosen Mund.
»Dieser Ritter hat Befehl, den Jungen abzuholen«, erklärte die Wache. »Den Mörder, der vor drei Tagen eingeliefert wurde.«
»Ah.« Der Kerkermeister nickte verdrießlich. »Den könnt Ihr mitnehmen. Aber viel Freude werdet Ihr nicht an ihm haben.« Mit dieser rätselhaften Bemerkung ließ er sich das Siegel des Grafen zeigen, murmelte einige undeutliche Worte und wies Baldewin an, ihm zu folgen.
Furchtsam verfolgte Anabel, wie die Männer den Turm betraten und aus ihrem Blickfeld verschwanden, während sich ihre Muskeln vor Anspannung verkrampften. Was um alles in der Welt hatte der Kerl damit gemeint?, dachte sie beklommen. Hatten sie Bertram gefoltert? Halb totgeschlagen oder geblendet? Ein grässliches Bild jagte das andere, während sie angstvoll darauf wartete, dass sich das mit Eisennägeln beschlagene Tor wieder öffnete und die beiden Männer ausspuckte.
Kapitel 44
»Was erlaubt Ihr Euch?« Entrüstet funkelte Conrad die beiden Stadtwächter und den arroganten Hauptmann an, die sich ihm vor der Ratssitzung an diesem Donnerstag in den Weg gestellt hatten. Mit einem erbosten Laut verzog er die Oberlippe zu einem verächtlichen Knurren, doch zeigte sich keiner der Männer davon beeindruckt. Der harte Griff, mit dem die Bewaffneten ihn von beiden Seiten an den Armen gepackt hielten, ließ keinen Irrtum über die Natur dieser Begegnung zu, und trotz der äußerlichen Selbstsicherheit beschlich den Gießer eine dunkle Ahnung.
Da das Treffen des Stadtrates an diesem Tag auf die vierte Stunde festgesetzt worden war, senkte sich vor den prächtigen Bogenfenstern bereits die Dämmerung über die Stadt. Links und rechts von dem merkwürdigen Kleeblatt strömten die verdutzten Zunftvertreter und Patrizier in den hell erleuchteten Versammlungssaal, an dessen Kopfende der Bürgermeister mit steinernem Gesicht in Conrads Richtung blickte. Sobald die Männer Platz genommen hatten, erhob sich ein unruhiges Tuscheln, das mit jeder Minute, die verstrich, anschwoll.
Eingekeilt zwischen den Wächtern bemühte sich der neue Alderman um Haltung, was ihm angesichts der Lage, in der er sich befand, nicht gerade leichtfiel.
»Ihr seid verhaftet«, informierte ihn der Hauptmann wie beiläufig, bevor er den Soldaten den Befehl gab, ihren Gefangenen in den Saal zu führen. Dort zwangen sie Conrad, in der Mitte des Raumes stehen zu bleiben und die Hände hinter dem Rücken zu verschränken, damit sie ihn fesseln konnten. Bebend vor Zorn ließ er diese Demütigung über sich ergehen, warf jedoch unbeherrscht den Kopf in den Nacken, als die derben Stricke in seine Haut einschnitten.
»Gebt gefälligst acht!«, brauste er hitzig auf, doch als Henricus den Conrad zustehenden Platz neben dem Bürgermeister einnahm, verschlug es ihm unerwartet die Sprache.
»Conrad Glockengießer«, hub der Hauptmann der Wache an, der sich mit einer ausladenden Geste an alle Anwesenden wandte. »Gegen Euch wurde eine schwerwiegende Anklage vorgebracht, welche heute vor diesem Rat wiederholt und erläutert werden soll.«
Er gab das Wort an den Bürgermeister ab, welcher mit gewichtiger Miene eine Pergamentrolle vor sich auf dem Tisch entrollte und mit monotoner Stimme verlas: »Folgende Verbrechen werden Euch zur Last gelegt. Erstens: die hinterrücke Ermordung Eures Vorgängers. Zweitens: Falschaussage und Irreführung der
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