Die Launen des Teufels
einer überwältigenden Woge zurück, und er wäre erneut zusammengesackt, hätte ihn nicht schiere Willenskraft aufrecht gehalten.
Einen kaum wahrnehmbaren Moment zögerte der Steinmetz, bevor er mit einem irritierten Blick auf den blutenden Armstummel auf Bertram zukroch und sich neben diesem ins Stroh sinken ließ. »Bertram«, murmelte er schwach und tastete mit der gesunden Hand nach seinem Sohn. »Mein Gott, Bertram.« Die aufsteigenden Tränen erstickten seine Stimme, während sich die ehemals starken Finger um das Handgelenk seines Sohnes schlossen. Die immer schwächer werdenden Flammen malten ein bizarres Muster aus Licht und Schatten auf die ausgemergelten Züge, die bereits deutlich vom Tod gezeichnet waren.
Alle Geräusche verblassten vor dem stetigen plok plok des Blutes, das die gelben Halme innerhalb kürzester Zeit dunkelrot färbte. »Bertram«, wiederholte er mit ersterbender Stimme und bettete den Kopf an den harten Steinquadern, deren schleimige Feuchtigkeit sein Haar tränkte.
»Vater!« Die durch seine Adern schießende Furcht verlieh dem Knaben ungeahnte Stärke, sodass er sich dem Ohnmächtigen zuwenden und diesen an den Schultern rütteln konnte. »Wach auf!« Alles, was er damit erreichte, war, dass der Steinmetz zur Seite sackte, wo er wie leblos liegen blieb. Innerhalb weniger Sekunden bildete sich unter seinem rechten Handgelenk eine rote Lache, die Bertram aus der Starre erweckte, in die er zu verfallen drohte. Mit fliegenden Fingern riss er zwei Streifen aus seinem zerschlissenen Hemdrock, faltete einen davon zu einer Kompresse und drückte ihn auf die furchtbare Wunde, um diese mit dem zweiten Stück Tuch zu verbinden. Augenblicklich ebbte die Blutung ein wenig ab, doch ließ der Zustand seines Vaters befürchten, dass dieser bereits eine erhebliche Menge des kostbaren Lebenssaftes verloren hatte. Er muss gestohlen haben, dachte Bertram erschöpft und brach neben dem bewusstlosen Steinmetz zusammen. Kalter Schweiß bedeckte sein Gesicht und seine Arme, und sein Herz schlug so heftig, dass er befürchtete, es könnte ihm in der Brust platzen.
Kapitel 43
Ulm, 13. Januar 1350
Das Warten war zermürbend. Nachdem der Donnerstag mit einer Mischung aus Schnee und Regen begonnen hatte, stahlen sich um die Mittagszeit die ersten schwachen Sonnenstrahlen durch die dichten Wolken, die von einem stürmischen Westwind auseinandergetrieben wurden. Pfeifend heulten die zum Teil beängstigend starken Böen durch die Häuserschluchten und peitschten den vermummt vorüberhuschenden Menschen ins Gesicht.
Frierend löste Anabel sich von dem undichten Fenster im Obergeschoss der Goldenen Gans, schlug den Kragen ihrer Glocke hoch und warf Katharina einen fragenden Blick zu. Diese hatte ihren frisch gefütterten Sohn an die Brust gedrückt, um ihn mit glänzenden Augen zu betrachten und mit dem Zeigefinger den weichen Flaum auf seinem Gesichtchen zu streicheln. Ihre rotbraunen Locken waren von einem strengen Gebende verborgen, das straff unter dem Kinn abschloss. Das von einem beinahe rubinroten Gürtel akzentuierte, safrangelbe Obergewand unterstrich die geisterhafte Blässe ihrer Haut, auf der die einzeln verstreuten Sommersprossen deutlich hervortraten. Außer dem leichten Beben ihrer vollen Unterlippe verriet nichts ihre Erregung, und hätte Anabel sich nicht ebenso sehr vor den unmittelbar bevorstehenden Ereignissen gefürchtet, hätte sie ihr Mitleid und Trost gespendet.
So jedoch fuhren beide Frauen gleichermaßen zusammen, als ein ungeduldiges Hämmern an der Eingangstür die Ankunft eines Besuchers verkündete; und als kurz darauf die Stimme der Wirtin erklang, hielten beide in ihren Bewegungen inne.
»Ich werde es ihr ausrichten«, versetzte die dralle Herrin der Herberge schroff, bevor sie die Tür vernehmlich schloss und die Treppen erklomm. Nachdem sie mit einem diskreten Hüsteln um Einlass gebeten hatte, verneigte sie sich vor Katharina und flötete scheinheilig: »Ein Bote lässt Euch ausrichten, dass die Männer des Grafen vor dem Hospital eingetroffen sind.«
Da Katharina nicht antwortete, zog sie sich nach kurzem Zögern zurück und polterte in die Küche, aus der der schwache Duft frisch gebackenen Brotes in die Herberge strömte.
»Wo Baldewin nur bleibt?«, stieß Katharina gepresst hervor und erhob sich, um den Säugling in eine warme Decke zu wickeln, bevor sie ihn Anabel in den Arm drückte. »Wenn er nicht bald kommt …« Die Sorge verschlug ihr die Sprache,
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