Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Launen des Teufels

Die Launen des Teufels

Titel: Die Launen des Teufels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
Vom Netzwerk:
der Rücken der Schwäbischen Alb, über der letzte Schleier der Feuchtigkeit darauf warteten, sich aufzulösen. Vollkommene Stille lag über dieser Märchenlandschaft, die Bertram mit aufgerissenen Augen bestaunte. Erst nach einigen Momenten des stillen Bewunderns nahm er die eisige Kälte wahr, die unaufhaltsam durch die Gewänder drang, die sich warm an seinen Körper schmiegten. Einem Reflex folgend zog er den Kragen enger um den Hals, hielt jedoch stutzig inne, als seine Finger das weiche Tuch berührten. Überrascht bemerkte er die fein gewobene, dunkelgrüne Wolle, die mit dem kräftigen Rot seiner Hosen korrespondierte. Beide Kleidungsstücke waren neu und von solch feiner Qualität, wie sie für gewöhnlich hohen Herren vorbehalten war. Jemand musste ihm die beschmutzte und zerschlissene Kleidung ausgezogen haben!, dachte er mit einem Lächeln, da soeben Anabel unter einem der Bäume auftauchte. Im gleißenden Licht der Sonne wirkte ihr rotblondes Haar beinahe kupfern, und während sie sich mit vorsichtigen Schritten über die vereiste Schneedecke tastete, ruhte Bertrams Blick unablässig auf ihrem leicht geröteten Gesicht. Als sie seine Gegenwart bemerkte, beschleunigte sie die Schritte und eilte auf ihn zu, ohne weiter auf die Tücken des Untergrundes zu achten. In ihrem Arm ruhte ein kleines Bündel, und kurz darauf erspähte Bertram ein faltiges Gesicht, dessen winziges Näschen kaum unter einer riesig wirkenden Kapuze hervor lugte.
    »Du bist wach!«, rief Anabel strahlend aus, raffte die Röcke und zog sich mit der freien Hand neben ihn auf den Bock. Sachte bettete sie den glucksenden Säugling auf einem der Felle im Inneren des Wagens und legte die Hände auf Bertrams Wangen. »Und du hast kein Fieber mehr!« Die Freude ließ ihre Augen in einem beinahe ebenso atemberaubenden Blau erstrahlen wie den klaren Himmel.
    Als Bertram etwas erwidern wollte, verschloss sie seinen Mund mit einem solch zarten Kuss, dass ihn abermals heftiger Schwindel überkam. »Geh wieder hinein«, befahl sie sanft und half ihm zurück zwischen die Decken, bevor sie das Kind in sein Körbchen bettete. »Nur noch zwei Nächte, dann können wir in Herbergen übernachten«, verriet sie tröstend und nestelte an der Schnürung der die Ladefläche überspannenden Leinwand. Mit steifen Fingern machte sie sich an einem kleinen Eisenofen zu schaffen, in dem kurz darauf ein schwaches Feuer brannte, das kaum die direkte Umgebung zu heizen vermochte. Ohne auf Bertrams Protest zu achten, hievte sie das schwere Dreibein näher an sein Lager und schob die Krippe dicht neben seinen Kopf. Sobald alles zu ihrer Zufriedenheit arrangiert war, griff sie in eines der Vorratsfässer, zog einen mehlbestäubten Brotlaib und ein mächtiges Stück kalter Schweinshaxe hervor und ließ sich neben ihm nieder. »Bis dahin musst du zusehen, dass du wieder zu Kräften kommst.«
    Obschon sein Magen heftig auf den Anblick der Köstlichkeiten reagierte, gelang es Bertram lediglich, ein winziges Stückchen Fleisch und Brotkruste zu sich zu nehmen, bevor ihn die Neugier übermannte. Schwerfällig kauend, ließ er den Blick von Anabel zu dem Weidenkorb und zurück wandern, schluckte und stellte die Frage, die ihn seit seiner Befreiung aus dem Gefängnis beschäftigte: »Was ist geschehen?«
     

Kapitel 46
     
    Die Schwäbische Alb, 15. Januar 1350
     
    Dunkle Wälder zogen sich den Horizont entlang. In ihrer schneebedeckten Einsamkeit erweckten sie den Eindruck, sich endlos zu erstrecken, doch wusste Katharina von Helfenstein nur zu genau, dass sie schon bald der Tiefebene weichen würden, die sie am Ende der Reise nach Hohenneuffen führen würde. Unterbrochen von den spektakulär zwischen den Wipfeln aufragenden, zerklüfteten Felsformationen bedeckten die zum Teil uralten Bäume Quadratmeile um Quadratmeile der Albhochfläche, die in einiger Entfernung schroff in eines der vielen Täler abfiel. Verborgen unter Schnee und Eis schlängelte sich eine gewundene Straße vorbei an einer weiteren Burg ihres Vaters, deren Bergfried wie ein mahnender Zeigefinger in den Himmel ragte. Als eine der Hauptverbindungen zwischen Venedig und Brügge war diese Straße trotz der überall wütenden Pest und der wankelmütigen Witterung relativ stark befahren, und mehr als einmal hatte Katharinas Zug bereits Gruppen tief vermummter Reisender überholt.
    Der prunkvolle Wagen, den ihr Gemahl geschickt hatte, wurde zu beiden Seiten von je einem halben Dutzend bis an die Zähne

Weitere Kostenlose Bücher