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Die Launen des Teufels

Die Launen des Teufels

Titel: Die Launen des Teufels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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bewaffneter Reiter bewacht, deren Aufgabe jedoch nicht ausschließlich darin bestand, sie zu schützen, dachte sie bitter. Vielmehr sollten sie dafür sorgen, dass sie nicht unterwegs den Kopf verlor und einen Fluchtversuch unternahm. Zwar behandelten die Männer sie mit ausgesuchter Höflichkeit, doch wiesen sowohl die Schlösser an der Außenseite der Tür als auch die verstohlenen Blicke, die sie ihr zuwarfen, darauf hin, dass sie zweifelsohne eine Gefangene war.
    Mit einem resignierten Seufzen zog sie den Kopf von dem kleinen Fenster zurück, durch das sie ihre Umgebung betrachtet hatte. Trotz der drei Kohlebecken und des Pelzbesatzes ihres Umhangs fröstelte sie immer wieder, was jedoch eher auf ihren Gemütszustand zurückzuführen war als auf die Temperatur im Inneren des Wagens. Wie so oft seit ihrem Aufbruch aus Ulm knetete sie nervös an der Unterlippe, während sie sich fragte, ob Anabel und Baldewin die Flucht gelungen war. Da weder der Ritter noch das Mädchen ihr Nachricht zukommen lassen konnten, quälte sie die Ungewissheit; und je länger die Reise dauerte, desto düsterer wurden ihre Vorahnungen. Was, wenn man ihre List aufgedeckt und Baldewin verhaftet hatte? Ihre Zähne lösten die kalten Finger ab. Was, wenn den dreien zwar die Flucht gelungen war, dem jungen Paar jedoch unterwegs etwas zustieß?
    Ein aggressiver Ruf ließ sie den Kopf heben, doch als sie kurz darauf an einer Abordnung schwer beladener Händler vorbeitrabten, versank sie erneut in ihrer Grübelei. Würde ihr Sohn der Seuche entkommen? Oder war alles umsonst gewesen? Sie schloss die Augen und beschwor sein Gesichtchen herauf – die winzigen Finger und Zehen und den zahnlosen Gaumen, der sich unzählige Male um ihren Daumen geschlossen hatte. Ein Zittern durchlief ihren Körper, als sie sich ausmalte, was dem Kind alles zustoßen konnte. Gott würde ihn beschützen! So wie er auch seinen Vater vor der Rache ihres Gemahls bewahren würde! Ihre Lippen bewegten sich in einem lautlosen Gebet, während ihre Hände das Zeichen des Kreuzes in die Luft malten.
    Sie musste aufhören, sich zu verzehren! Hatte Fortuna ihr in Anabel nicht eine zuverlässige und ehrliche Helferin zur Seite gestellt, der sie voll und ganz vertrauen konnte? Nicht einen Moment lang zweifelte sie an der Loyalität der jungen Frau, die das gegebene Versprechen einhalten würde, wenn ihr nicht höhere Mächte Steine in den Weg warfen! Erneut flehte Katharina um Verschonung ihres Sohnes.
     
    » Denn er errettet dich vom Strick des Jägers
    und von der schädlichen Pestilenz,
    Er wird dich mit seinen Fittichen decken,
    und deine Zuversicht wird sein unter seinen Flügeln.
    Seine Wahrheit ist Schirm und Schild,
    Dass du nicht erschrecken müsstest vor dem Grauen der Nacht,
    vor den Pfeilen, die des Tages fliegen,
    Vor der Pestilenz, die im Finstern schleicht,
    vor der Seuche, die im Mittag verderbt.«
     
    Ihre Stimme erstarb, und die restlichen Worte des Psalms verhallten in ihren Gedanken. Ein Jahr, dann würde Anabel ihr Botschaft zukommen lassen, wo sich ihr Sohn befand. Ein einziges, kurzes Jahr! Sie nagte nervös an einem der Nagelbetten ihrer linken Hand. Entgegen der Beteuerungen, die sie Wulf von Katzenstein gegenüber geäußert hatte, war sie weitaus weniger sicher, dass Ulrich sie nicht auf der Stelle töten lassen würde. In den Stunden seit ihrem Aufbruch aus Ulm waren erschreckende Erinnerungen in ihr aufgestiegen und hatten ihr Szenen vor Augen geführt, die sie längst verdrängt hatte. So hatte ihr Gemahl einmal einem Bauernburschen im Zorn die Zunge herausreißen lassen, weil dieser ihm nicht augenblicklich den gebotenen Respekt entgegengebracht hatte. Ein anderes Mal hatte er eine Küchenmagd furchtbar dafür bestraft, dass sie mit einem der Stallknechte Unzucht getrieben hatte. Wenn sie an die Schreie der tagelang am Pranger festgeketteten Magd zurückdachte, legte sich eine Gänsehaut über ihre Arme. Was würde er dann erst mit seiner Gemahlin anfangen, die ihn mit einem seiner Gefolgsleute betrogen hatte? Würde er sich nicht dazu gezwungen sehen, ein Exempel zu statuieren, damit niemals wieder jemand auf die Idee kam, etwas zu stehlen, das ihm gehörte? Würde er die gesamte Härte des Gesetzes ausschöpfen und das Recht auf ihr Leben beanspruchen? Sie schlang die Arme um ihren Oberkörper, um diesen zu wärmen. Und selbst wenn er eine Milde zeigte, auf die sie nicht zu hoffen wagte, was würde er dann mit ihr anfangen? Würde er sie in einem

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