Die Launen des Teufels
Meister und Vater an dem geplanten Ulmer Münster mitzuwirken, sein gesamtes Können in den Dienst dieses Denkmales zu stellen! Er verzog wehmütig die aufgeplatzten Lippen. Keiner von ihnen würde jemals wieder einen Stein behauen! Das war ihm in den Stunden und Tagen, die er in diesem Loch zugebracht hatte, unumstößlich klar geworden. Ein tiefer Seufzer baute sich in ihm auf. Wenn er jemals wieder das Blau des Himmels erblicken sollte, dann vermutlich am Tag seiner Hinrichtung.
Unbestimmbare Zeit verstrich in tiefem Grübeln, bis die Atemstöße des Steinmetzen schließlich unregelmäßiger wurden und seine Glieder erschlafften.
Mit einem Schreckenslaut tastete Bertram nach der Halsschlagader seines Vaters und zerrte unkoordiniert an dem Kragen des zerlumpten Rockes, als er diese nicht fand. Mit in der Kehle hämmerndem Herzen legte er die Hand auf die warme Brust und wimmerte leise, als auch dort kein Zeichen des Lebens zu spüren war. Eiskalt durchzuckte ihn die Erkenntnis, dass der Tod die Seele bereits geraubt hatte, doch bevor er die Endgültigkeit dieser Wahrheit begreifen konnte, rüttelten ihn tiefe Stimmen aus der Erschütterung. Erstarrt beobachtete er, wie ein Lichtspalt über den Boden kroch und sich verbreiterte, bevor zwei stämmige Gestalten in dem schiefen Türrahmen auftauchten.
»Dieser dort ist es.«
Nur mit Mühe erkannte er Geris Stimme durch das Rauschen in seinen Ohren, und erst, als ein hochgewachsener Ritter auf ihn zutrat und ihn auffordernd anblickte, verstand er, dass sie gekommen waren, um ihn zu holen. Taub und gleichgültig ließ er zu, dass sich der Ritter zu ihm hinabbeugte, den leblosen Körper seines Vaters von ihm hob und ihm erstaunlich sanft auf die Beine half. Durch einen Schleier nahm er wahr, dass sich ein starker Arm um seine Schultern legte, bevor man ihn in den Korridor hinausführte, der vor seinen Augen verschwamm. Die feuchten Wände schienen sich mit jedem Schritt, den er sich über den unebenen Lehmboden schleppte, zu verengen, und die Worte des Kerkermeisters verzerrten sich in einem vielfachen Echo.
»Seid Ihr sicher, dass Ihr ihn haben wollt?« Das meckernde Lachen vermischte sich mit einem anderen Laut, den Bertram nicht festmachen konnte, und als sie die zur Oberfläche führende Treppe erreichten, versagten ihm die Beine. Tintige Schwärze legte sich über seine Augen, bevor er in den Armen des Gepanzerten zusammensackte.
Als er wieder zu sich kam, wurde sein schmerzender Körper von unregelmäßigen Stößen erschüttert, die dafür sorgten, dass sich heiße Stiche von seinem Kopf über seinen Rücken in die ausgestreckten Gliedmaßen ausbreiteten. Ein dumpfes Poltern ließ ihn vermuten, dass es ein Gefährt war, das ihn auf einer unangemessen weichen Unterlage hin- und herschaukelte. Befand er sich bereits auf dem Henkerskarren? Unsicher bewegte er die Hände an seiner Seite und stellte zu seinem maßlosen Erstaunen fest, dass er nicht gebunden war. Das helle Klappern von Hufen verriet ihm, dass er richtig gemutmaßt hatte, doch als es ihm nach einigen fruchtlosen Versuchen endlich gelang, die Lider zu heben, presste er sie ungläubig wieder aufeinander. Er musste träumen!
Keine Armlänge über ihm strahlte ihn ein engelhaftes Gesicht an, das Anabels zum Verwechseln ähnlich war. In den kornblumenblauen Augen lag eine Mischung aus Sorge, Furcht und Liebe, und als sich die vollen Lippen öffneten, um etwas zu sagen, zweifelte er endgültig an seinem Verstand.
»Bertram«, hauchte die Erscheinung und beugte sich über ihn, um ihm zärtlich die Stirn zu küssen. »Du lebst!« Glitzernde Tränen rannen die bleichen Wangen hinab, um kurz darauf in dem Kragen ihres Mantels zu versiegen. Eine kühle Hand legte sich auf sein Gesicht und wanderte prüfend in seinen Nacken, wo sie einige Zeit verweilte. »Du hast Fieber«, bemerkte sie stirnrunzelnd und zog die Decke, die er erst jetzt bemerkte, höher. »Bin ich tot?«, fragte er undeutlich, da ihm immer noch die Zunge am Gaumen klebte. Als habe sie seine Beschwerden vorhergesehen, schob Anabel eine Hand unter seinen Kopf und setzte einen Trinkschlauch an seine Lippen, aus dem süßes Wasser seine gemarterte Kehle hinunterrann. Durstig sog er Schluck um Schluck der kostbaren Flüssigkeit in sich auf und ließ sich erst zurücksinken, als er das Gefühl hatte, nichts mehr aufnehmen zu können.
»Nein«, beantwortete sie seine Frage und lächelte. »Du bist in Sicherheit.«
Einige Momente starrte er sie
Weitere Kostenlose Bücher