Die Launen des Teufels
Zittern ihrer Hände zu unterbinden, schob die junge Frau die Linke unter den Boden des mit dem Clarêt gefüllten, mit einem Löwenkopf verzierten Behälters und schenkte die ölig funkelnde Flüssigkeit ein, bis der oberste Befehlshaber der Stadt abwinkte. Von diesem aus wandte sie sich nach links, um nach und nach die Becher und Gläser der Gäste zu füllen, die ihre Anwesenheit schon bald vergessen zu haben schienen. Um an etwas anderes als die versammelte Machtfülle zu denken, zählte sie die kräftig zulangenden Männer und hielt erstaunt inne, als ihr die symbolische Bedeutung ihrer Anzahl bewusst wurde. Hatte Franciscus an diesem Freitag absichtlich genau zwölf Gäste geladen, oder handelte es sich hierbei um einen Zufall? Der helle Tenor des Aldermans ließ sie schuldbewusst zusammenzucken und mit ihrer Aufgabe fortfahren, während sich die aufgetischten Köstlichkeiten unter den Messern der hungrigen Besucher in Windeseile in ein Schlachtfeld verwandelten.
»Die Sache ist die, Franciscus«, stellte der Zunftvorsteher kauend fest und griff herzhaft in eine Schale voller Hasenbrüste. »Der Bau dieser Kirche kann und wird den Mitgliedern unserer Zünfte erheblichen Wohlstand verschaffen.« Er hielt einen Moment inne, um den saftigen Bissen mit einem Schluck Würzwein hinunterzuspülen. »Aber uns allen ist eine Sorge gemein.« Er blickte fragend in die Runde, und nachdem allgemeines Kopfnicken die Zustimmung der anderen signalisiert hatte, setzte er mit einem warnenden Unterton hinzu: »Die Versuchung, sich durch kleine Geschenke oder Zuwendungen einen Vorteil bei der Vergabe der Arbeiten zu verschaffen, wird sicherlich den einen oder anderen unserer Brüder auf den falschen Pfad führen.« Franciscus hob gespielt erstaunt die Brauen, wartete jedoch, ob der Alderman noch etwas hinzusetzen wollte.
»Jeder Handwerker, der bei der versuchten Übervorteilung seiner Zunftgenossen ertappt wird«, beschied dieser ernst, »wird nicht nur aus seiner Zunft oder Rotte ausgeschlossen, er muss auch mit ernsthaften Konsequenzen durch die Stadtwache rechnen.«
An dieser Stelle gab er das Wort an den Bürgermeister ab, über dessen Bauch sich ein breiter, senfgelber Gürtel spannte. »Als Befehlshaber der Wache werde ich meine Männer anweisen, streng auf die Einhaltung der Regeln zu achten. Jeder Verstoß wird mit Kerker und einem Bußgeld geahndet.«
Als er sich wieder zurückgelehnt hatte, erhob sich Franciscus, um mit feierlicher Geste den betont einfachen Holzkrug zu heben, aus dem er zu trinken pflegte. »Bei diesem gottgefälligen Unterfangen«, dröhnte er pompös, »werden einzig und allein Können und Gottesfurcht darüber entscheiden, wer einen Auftrag erhält und wer nicht.« Um einen Zutrunk zu erzwingen, schwenkte er sein Trinkgefäß ein wenig nach vorn, sodass das starke Wacholderbier, das er dem Clarêt vorzog, über den Rand schwappte. »Darauf wollen wir trinken!«
Nachdem alle Männer seinem Beispiel gefolgt waren, lockerte sich die Stimmung und der Rest des Mahls wurde mit dem Austausch von Klatsch und Neuigkeiten verbracht. So erfuhr Anabel unfreiwillig, dass die Frau eines reichen Pfefferhändlers diesen mit einem seiner Gesellen betrogen hatte, woraufhin ihr Gemahl den jungen Mann kurzerhand entmannt und seine Gattin vom Hof geprügelt hatte. Auch die Manneskraft des Grafen Ulrich von Württemberg, dessen frisch Angetraute sich im eine Tagesreise entfernten Heidenheim auf der Burg ihres Vaters aufhielt, wurde in allen Einzelheiten diskutiert; und hätte Franciscus sie nicht nach etwa drei Stunden entlassen, hätte sie noch so manch Unschmeichelhaftes über ihre Mitmenschen zu Ohren bekommen.
Dankbar, der illustren Runde entkommen zu sein, steckte sie im Nebenzimmer eine Scheibe Brot und ein kaltes Stück Schweinebraten in das schürzenartige Skapulier, das ihren Ärmelrock ergänzte, und fegte erleichtert die Treppe ins Erdgeschoss hinab, um sich ins Hospital zu begeben. Dort erwartete sie Schwester Marthe, die für sie eingesprungen war, mit tadelndem Blick.
»Ich hatte schon befürchtet, ich müsste die ganze Nacht wachen«, schalt diese und erhob sich von dem dreibeinigen Hocker, den sie neben die Bettstatt der immer noch geschwächten Wöchnerin geschoben hatte. Zwar hatten die eingefallenen Wangen der jungen Frau, die wie Schwester Marthe aus einer der reichen Patrizierfamilien Ulms stammte, inzwischen wieder etwas Farbe angenommen. Doch sowohl ihr rasselnder Atem als auch die
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