Die Launen des Teufels
die Kapuze über den Kopf, holte tief Luft und sprintete über den von breiten Rinnsalen überzogenen Hof. Ohne darüber nachzudenken, wo sie zu dieser Zeit, zu der die Brüder sich für gewöhnlich im Kapitelsaal befanden, einen Beichtvater auftreiben sollte, hastete sie auf das Refektorium zu. An dessen Durchgang zum hinteren Klosterhof stieß sie mit dem Bibliothekar zusammen, der versuchte, einen Arm voller Pergamentrollen vor dem aus allen Richtungen kommenden Regen zu schützen.
»Nicht so stürmisch, mein Kind«, schnarrte der weißhaarige Prudenz, um dessen stahlblaue Augen sich ein Netzwerk tiefer Falten rankte. Das lederartige Gesicht des alten Franziskaners zierten eine große, leicht krumme Nase und fledermausartige Ohren, doch als er die farblosen Lippen zu einem halb zahnlosen Lächeln verzog, trat ein schelmisches Funkeln in seinen Blick, das dem eines jungen Mannes in nichts nachstand. »Die Hast ist eine Last«, reimte er vergnügt, hob die Schultern, um die durcheinandergeratenen Schriftrollen zurück in Position zu befördern und machte Anstalten, die Stufen in den ersten Stock des Refektoriums zu erklimmen.
»Vater Prudenz«, flehte Anabel und eilte an seine Seite, um zu ihm aufzublicken. Die buschigen Brauen des alten Mönchs schoben sich fragend in die Höhe, doch die zuckenden Mundwinkel verrieten, dass ihn diese ungewöhnliche Begegnung durchaus amüsierte. »Meisterin Guta schickt mich«, beeilte sich Anabel zu erklären. »Jemand muss den Sterbenden die Beichte abnehmen.«
Alle Heiterkeit wie weggewischt, brachte der Bibliothekar mit unvermuteter Flinkheit seine Schätze ins Trockene, bevor er wieder ins Freie trat, um Anabel über den immer schlüpfriger werdenden Hof ins Infirmarium zu folgen.
»Prudenz«, begrüßte die Begine, die einem fiebernden Kind ein dampfendes Gebräu einflößte, ihn mit einem erleichterten Seufzer. »Kommt.« Ohne weitere Zeit mit Höflichkeitsfloskeln zu verschwenden, führte sie den alten Mönch in die Kammer mit den besinnungslosen Wöchnerinnen, wo sie ihn zurückließ, um für diese zu beten und sie ein letztes Mal in die diesseitige Welt zurückzurufen.
Das Gemurmel des greisen Franziskaners im Rücken, verfolgte Anabel, wie Guta sich voller Hingabe und Liebe um die Alten, Kranken und Sterbenden kümmerte, deren Zahl wie immer nach dem Ende des Sommers angewachsen war. Beinahe mütterlich wusch sie das Gesicht eines kleinen Jungen, der erst vor wenigen Tagen halb verhungert und verdurstet von einem Schiffer ins Lazarett gebracht worden war, nachdem dieser den Knaben im Laderaum seiner aus Wien kommenden Zille gefunden hatte. In den wenigen Augenblicken, in denen das Kind bei Bewusstsein gewesen war, hatte es unverständliche Worte gestammelt, doch außer dem immer noch hohen Fieber wies nichts darauf hin, an was für einer Krankheit er litt oder gelitten hatte.
Ohne es zu merken, hatte Anabel begonnen, die Haut um ihre Fingernägel mit den Zähnen zu malträtieren. Konnte sie die Schwester jetzt mit ihren Sorgen behelligen?, fragte sich das Mädchen, dem der Vorfall des vergangenen Abends selbst schon halb unwirklich erschien. War Franciscus lediglich betrunken gewesen und hatte sich vergessen? Eine tiefe Falte grub sich zwischen ihre Augenbrauen, während sie mit sich rang, wie viel sie der Meisterin preisgeben sollte. Konnte sie den Ruf des Ordensvorstehers so ohne Weiteres beschmutzen?
Gerade wollte sie sich ein Herz nehmen, die Scham überwinden, die sie bei der Erinnerung an den schleimigen Kuss überkam, und Guta alles berichten, als diese sich mit einem letzten Blick auf den fremdländisch anmutenden Kranken erhob und mit einem müden Lächeln bemerkte: »Du kannst nach Hause gehen. Hier ist soweit alles getan.« Ein Schatten huschte über ihre herben Züge, als sie Anabels unausgesprochene Frage las. »Sie sind bei Bruder Prudenz in guten Händen.« Einen winzigen Moment wirkte es, als wolle sie etwas hinzusetzen, doch dann nickte sie dem Mädchen ein letztes Mal zu, sammelte ihre Tränke ein und steuerte auf den angrenzenden Raum zu. »Lass dich von der Obleierin bezahlen. Sie ist noch auf«, warf sie über die Schulter zurück, bevor das dämmerige Licht sie verschluckte.
Verdattert und vor den Kopf gestoßen starrte Anabel ihr nach, bis sie das Stöhnen eines Schläfers aus der Erstarrung riss. Während Erleichterung darüber, nicht noch eine Nacht innerhalb der Klostermauern zubringen zu müssen, und Enttäuschung über die eigene
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