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Die Launen des Teufels

Die Launen des Teufels

Titel: Die Launen des Teufels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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riskieren und einen Fluchtversuch unternehmen! Schwitzend und an den Händen blutend, stemmte er einen Augenblick lang die Unterarme auf den Griff der Schaufel, um einige tiefe Atemzüge zu nehmen. Doch dann würde er Anabel niemals wiedersehen! Die Verzweiflung, die bei dieser Aussicht drohte, ihm die nur noch mühsam aufrechterhaltene Fassung zu rauben, ließ ihn einen Laut ausstoßen, der beinahe klang wie ein Schluchzen. Da jedoch sowohl die beiden Gesellen als auch Conrad inzwischen damit beschäftigt waren, die Schmelze für die Elisabethglocke zu veredeln, ging dieses Zeichen der Schwäche im Zischen des glühend heißen Kupfers unter, das den beigegebenen Pferdedung unter Rauchschwaden verschlang.
    Mit dem Handrücken wischte sich der erschöpfte Knabe die Tränen von den Wangen, umklammerte erneut den Griff der Schaufel und setzte zu den letzten Stichen an. Er konnte sich nicht einfach feige und ohne Ehre davonstehlen. Denn wer sollte dann Anabel vor den Wutausbrüchen ihres Vaters beschützen? Nein!, beschloss er mit neu gewonnener Starrköpfigkeit. Er würde dafür sorgen, dass Anabel ein besseres Leben kennen lernte. Zwar war ihm noch vollkommen schleierhaft, wie er das bewerkstelligen wollte, doch die überwältigende Liebe, die er für das wunderschöne Mädchen empfand, das ihm mit einem einzigen Lächeln das Herz gestohlen hatte, ließ ihn auf ein Wunder hoffen.
     

Kapitel 9
     
    Pfeifend heulte der vor wenigen Stunden aufgekommene Sturm über die Dächer der im Dunkeln liegenden Abtei und zerrte an den mit hölzernen Läden verschlossenen Fenstern. Nachdem Anabel sich am späten Nachmittag von zu Hause verabschiedet hatte, um ihren zweiten Nachtdienst am Lager der inzwischen besinnungslosen Wöchnerin anzutreten, hatte sich der Himmel in beängstigender Geschwindigkeit bewölkt und die alljährlich von der Alb ins Tal fegenden Stürme hatten begonnen. Kleinen Windhosen gleich wirbelten die von den Bäumen gerissenen Blätter in absurden Kreiseln in die Höhe, wo sie einige Zeit lang tanzend verweilten, um dann von einer entgegengesetzten Bö auseinandergetrieben zu werden und sich in alle Himmelsrichtungen zu zerstreuen. Die in schweren Eisenhaltern steckenden Pechfackeln über den Türen der Klostergebäude duckten sich in die geschmiedeten Körbe, zuckten nach links und rechts und sandten ärgerliche Rußfäden durch die Lichtkegel. Kurz nachdem das Mädchen sich auf dem neben dem Krankenlager wartenden Schemel niedergelassen hatte, gesellte sich peitschender Regen zu den Sturmböen, der beinahe waagerecht gegen die Fassade des Hospitals klatschte.
    Immer noch verwirrt und verunsichert von der unverhofften Gewalt der Gefühle, welche die Begegnung mit Bertram in ihr ausgelöst hatten, fuhr die junge Frau erschrocken zusammen, als sich nach einigen Stunden die an diesem Tag verschlossene Tür zum Klosterhof öffnete und sowohl der Infirmarius Paulus als auch die Meisterin Guta Staiger mit triefenden Umhängen das Lazarett betraten. Wie immer klebte der Tonsor an den Fersen seines Herrn und Meisters, dem er mit einer kriecherischen Verneigung das durchweichte Skapulier abnahm, um es auf einen der neben der Tür befestigten Haken zu hängen. Ohne sich von dieser plumpen Demutsbekundung beeindrucken zu lassen, schüttelte die Beginenmeisterin unzeremoniös die Nässe aus dem eigenen Überwurf, zog die Kapuze vom Kopf und strich das sich darunter befindliche weiße Kopftuch glatt.
    »Wenn Ihr nur endlich begreifen wolltet, dass es nicht Gottes Wille ist, dass diese Frauen sterben«, seufzte sie resigniert, während Paulus sich zu seiner vollen Größe aufrichtete. Mit dem Kranz aus hellblondem Haar und dem von einem kleinen Bärtchen betonten Kinn wirkte er eher wie einer der modebewussten Fernhändler als wie ein Angehöriger eines Bettelordens. Doch diese weltliche Fassade machte er durch seine fanatische Gottergebenheit mehr als wett.
    »Wer seid Ihr, dass Ihr Gottes Willen interpretieren wollt?«, forderte er verächtlich zu wissen und griff nach der kleinen Tasche, die seine Instrumente enthielt. »Diese Frauen bezahlen für die Sünde unserer Vorväter«, leierte er die beliebte Erklärung für das Kindbettfieber herunter. »Eure Theorie, dass man sie durch Wein- und Essigbäder retten könnte, ist nicht nur absurd, sie ist gefährlich nahe an der Blasphemie!« Seine an diesem Tag beinahe himmelblauen Augen funkelten die Begine kampfeslustig an, als diese versetzte: »Und Eure Nachlässigkeit

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