Die Launen des Teufels
sondern dass ihr eigener Vater und einer der höchstgeachteten Männer der Stadt sie dazu gezwungen hatten, ihre Seele und Unschuld zu beschmutzen?!
Ein beinahe hysterisches Lachen suchte sich den Weg über ihre Lippen. Predigten nicht sowohl Paulus als auch Henricus, dass es stets die Schuld der doppelzüngigen und verführerischen Weiber war, welche selbst die heiligsten Männer dazu verleiten konnten, ihre vor Gott geleisteten Eide zu brechen und sich der fleischlichen Lust hinzugeben? Und wurde nicht stets die Frau weitaus härter bestraft, wenn ein Paar beim außerehelichen Geschlechtsverkehr ertappt wurde?
Dennoch, sie würde sich ihrem Schicksal beugen, auch wenn dies bedeutete, dass ihr bisheriges Leben mit dem morgigen Tag beendet war! Sie würde sich der Werbung des Abtes unterwerfen, ihn gewähren lassen und Gott um Vergebung für ihre Sünden bitten! Müde fuhr sie sich mit den Handballen über das Gesicht. Und sie würde Bertram gegenüber reserviert und höflich sein, damit er möglichst schnell lernte, seine Gefühle für sie zu begraben. So wie sie die ihren für ihn! Mit einem Würgen griff sie sich an den Magen, sackte in die Knie und schaffte es gerade noch, einen der leeren Schöpfeimer zu sich heranzuziehen, bevor sie sich übergeben musste.
Kapitel 14
Der Mittwochmorgen begrüßte Anabel mit strahlendem Sonnenschein. Wie um ihrer Verzweiflung zu spotten leuchtete der am Vortag gefallene Schnee in blendendem Weiß von den Dächern der Stadt, und selbst die Gewänder der zum Markt strömenden Händler wirkten an diesem Tag bunter und schreiender als für gewöhnlich. Niedergedrückt und zerschlagen schleppte sie sich durch die engen Gassen, während sich lähmende Furcht in ihr ausbreitete. Zwar hatte sie in den scheinbar endlosen Stunden der schlaflosen Nacht versucht, sich zu beruhigen, doch hatte die Aussicht auf das, was ihr bevorstand, ihre Versuche im Keim erstickt. Schritt um Schritt zwang sie sich dazu, nicht kehrt zu machen, doch als sich ihr kurz vor den Toren der Abtei eine wohlbekannte Gestalt näherte, besiegte sie nur mühsam den Fluchtinstinkt.
»Sieh an!«, höhnte Franciscus, als er bei ihr angelangt war, und starrte mit ausdruckslosen Augen auf sie hinab. Etwas in ihren Zügen musste ihm verraten, dass er sein Ziel erreicht hatte, da er nach kurzem, eisigem Schweigen schroff hinzufügte: »Komm nach der Vesper ins Abthaus.« Damit war die Angelegenheit für ihn erledigt, und er hastete mit wehender Kukulle in Richtung Rathausplatz davon. Sein Rücken war bereits lange Zeit hinter der Kuppe verschwunden, als Anabel am ganzen Leib bebend den unterbrochenen Weg fortsetzte und sich mit gesenktem Blick an den Torwächtern vorbeidrückte.
Auf unsicheren Beinen betrat sie das Lazarett, aus dem wie so oft in letzter Zeit die zornigen Stimmen der Meisterin Guta Staiger und des Infirmarius in den Hof drangen. Dankbar darüber, Ablenkung von ihren düsteren Gedanken zu finden, griff Anabel nach einem Korb Binden und folgte mit halbem Ohr der aufgebrachten Unterhaltung.
»Wenn dem so wäre«, fauchte der Infirmarius Paulus soeben die Begine an, die neben dem Lager des von einem Schiffer ins Hospital gebrachten Jungen stand, »dann hätten die Fremden die Geißel Gottes, von der alle reden, hier eingeschleppt!« Sein Kinn zuckte in Richtung des hohlwangigen Kindes, das offensichtlich auf dem Weg der Besserung war. »Aber dem ist nicht so«, setzte er hochmütig hinzu. »Das ist nur das Geschwätz der abergläubischen Bauern!«
Guta schwieg einen Augenblick, bevor sie erwiderte: »Nicht nur die Bauern berichten von einer Plage von solch biblischen Ausmaßen, dass wir sie uns überhaupt nicht vorstellen können. Im Norden und Osten sollen bereits unzählige Menschen daran zugrunde gegangen sein.« Sorgenvoll legte sie die Stirn in Falten. »Außerdem fürchte ich, dass uns der Zorn des Herrn schon längst getroffen hat. Seid Ihr denn blind? Oder habt Ihr so etwas jemals zuvor gesehen?« Sie deutete auf einige Patienten, bei denen die furchtbaren Beulen an Armen und Beinen aufgeplatzt waren und die wie durch ein Wunder die Krankheit überlebt hatten.
Zwar war die Anzahl derjenigen, die mit Schwellungen, Kopf- und Gliederschmerzen eingeliefert wurden, seit Anbruch des Winters zurückgegangen, doch waren im Gegenzug mehr und mehr Menschen mit Zungenlähmung, Brustschmerzen oder blutigem Husten ins Hospital gebracht worden. Zudem starben viele Ulmer an Lungenentzündungen, Typhus und
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