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Die Launen des Teufels

Die Launen des Teufels

Titel: Die Launen des Teufels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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niederdrückende Last der Sünde von ihrem Gewissen zu nehmen. Und so berichtete sie in sachlichen Worten, wie ihr Vater sie dazu erpresst hatte, dem Abt zu Willen zu sein, da er ansonsten ihren Geschwistern ein Leid zufügen würde. Distanziert und kühl erzählte sie von der Schändung, als handle es sich um das Schicksal einer anderen. Als sie schließlich geendet hatte, war Bertram wie versteinert. Eine scheinbare Ewigkeit blickte er mit offenem Mund auf die zerbrechlich wirkende junge Frau, aus deren Gesicht alle Farbe gewichen war, bevor er mit einem gotteslästerlichen Fluch auf die Beine schnellte, den Zinnteller auf dem Nachttisch zu Boden fegte und nach dem Krug voller Wacholderbier griff, um diesen an die Wand zu schleudern. Erstarrt verfolgte Anabel, wie die schäumende Flüssigkeit die weiße Wand befleckte und in mehreren dünnen Rinnsalen in Richtung Boden tröpfelte, wo sie die alten Bohlen tränkte.
    »Ich werde ihn töten!«, tobte Bertram, an dessen Armen die Muskeln wie Taue hervortraten. Zuckend spannte sein verkrampfter Kiefer die Haut, als er mit mahlenden Zähnen die Hände in den schwarzen Schopf krallte und einen heiseren Wutschrei ausstieß. Erst als Anabel mit einem furchtsamen Laut die Decke über den Kopf zog, kam er wieder zu sich, blickte schuldbewusst auf die Scherben und ließ sich heftig atmend neben dem Bett auf die Knie fallen. Immer noch zitternd vor Zorn griff er nach einem Zipfel des Lakens, entrang es Anabels verkrampften Händen und sagte zerknirscht: »Ich wollte dich nicht erschrecken.« Mit Mühe zwang er sich dazu, regelmäßig zu atmen, und als das Dröhnen seines Herzens ein wenig abflaute, bat er beklommen: »Bitte sieh mich an.« Das Beben ihres Kinns verriet ihm, wie viel Kraft es sie kostete, nicht die Beherrschung zu verlieren und erneut in Tränen auszubrechen, und als er der Tapferkeit in ihrem verweinten Blick gewahr wurde, drohte es ihm die Brust zu sprengen.
    »Wie konntest du annehmen, dass ich dir dafür die Schuld geben würde?«, fragte er sanft und umschloss ihre kalte Hand mit der seinen. »Ein Gott, der behauptet, dass es deine Schuld ist, ist kein Gott, an den ich glauben will«, stieß er verächtlich hervor, und als Anabel entsetzt den Mund öffnete, setzte er hinzu: »Wir müssen unser Schicksal in die eigenen Hände nehmen. Lass mich die Angelegenheit regeln!«
    So viel Überzeugung schwang in seiner Stimme mit, dass Anabel sich um ein Haar dazu hätte verleiten lassen, ihm Glauben zu schenken. Doch die Konsequenzen dessen, was er zweifelsohne vorhatte, waren so grauenvoll, dass ihr die Furcht die Stimme verschlug. Mit einem Räuspern vertrieb sie den Klumpen in ihrer Kehle und flüsterte: »Wenn du ihn tötest, wird man dich hinrichten.« Der Gedanke daran, ihn an einem Galgen hängen zu sehen, ließ sie schwindelig zurücksinken. »Und wenn du ihn provozierst, schlägt er dich tot!« Sie schluckte schwer. »Ich werde mich der Meisterin anvertrauen«, beschloss sie schließlich mit einem Seufzen. »Auch wenn sie vermutlich nicht viel ausrichten kann …« Sie ließ den Satz unbeendet, da sie sich ausmalte, wie Henricus darauf reagieren würde, sollte er jemals davon erfahren.
    »Aber was ist, wenn sich der Abt bei meinem Vater beschwert?«, fragte sie bang und biss die Zähne zusammen, um zu verhindern, dass sie aufeinanderschlugen. »Dann wird er die Kinder dafür büßen lassen!«
    »Dazu wird es nicht kommen!«, versprach Bertram, der sich behutsam wieder neben ihr auf der Matratze niederließ. Die Kühle des Raumes hatte eine Gänsehaut auf seine Glieder gemalt, und als Anabel klar wurde, dass er frieren musste, hob sie ohne nachzudenken die Decke, um ihn zu wärmen. Kühl schmiegte sich seine Seite an die ihre, und obschon die Sorgen alle Lust vertrieben hatten, flößte ihr seine Gegenwart ein beruhigendes Gefühl der Sicherheit ein. »Ich werde sie beschützen.« Er legte die Wange an ihr feines Haar und dachte nach. »Göswin und Anselm sind zurzeit nicht besonders gut auf ihn zu sprechen. Sie werden mir helfen.«
    Eine Weile hingen sie beide schweigend ihren Gedanken nach, bis Bertram den Arm um Anabels Rücken legte, sie sanft nach unten drückte und ihren Kopf auf seiner Brust bettete. Erschöpft von der unglaublichen Gewalt der Gefühle, die sich an diesem Abend gejagt hatten, schmiegten sie sich haltsuchend aneinander und saugten Kraft und Zuversicht aus der Anwesenheit des anderen. Als das Feuer im Kamin zu Asche zerfiel, fielen sie

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