Die Launen des Todes
anderes. Ich wollte etwas, was mit wirklichen Menschen, wirklichen Leidenschaften zu tun hatte. Deshalb musste ich mich von der Soziologie ab- und der Literatur zuwenden, und dort vor allem dem Theater. Ich erinnerte mich an einen alten Englischlehrer, der immer sagte, dass es im Drama drei Handlungstriebfedern gebe – Liebe, Ehrgeiz und Rache –, von denen die Rache die stärkste sei. Daher begann ich die elisabethanischen und jakobäischen Autoren zu lesen und stellte schnell fest, dass er Recht gehabt hatte. Hinsichtlich der dramatischen Energie erwies sich nichts produktiver als die Rache. Die Liebe bewegt, der Ehrgeiz treibt an, die Rache aber explodiert! Ich wusste, ich hatte mein Thema gefunden. Allerdings war es eine ästhetische, akademische, autotelische Wahl, die nichts mit äußeren Faktoren wie meine eigene Situation zu tun hatte.
Aber ich verstand, wie dies auf Amaryllis mit ihrem scheelen freudianischen Blick wirken musste.
Ich setzte bereits zu einer Erwiderung an, wollte ihr meine Argumente darlegen, beschloss dann aber, dass es die falsche Taktik sei, und sagte stattdessen: »Großer Gott, da habe ich ja noch nie drüber nachgedacht. Und wenn ich’s recht bedenke … nein, nein, nie.«
Soll sie doch sehen, wie ich dummes Zeug sülze, dachte ich mir. Soll sie doch meinen, alles unter Kontrolle zu haben.
Währenddessen überlegte ich fieberhaft, woher sie von meinem Thema wusste. Ich hatte es ihr gegenüber nie erwähnt. Ich hatte es selbst erst die Woche zuvor zusammengestellt und es an die für Fernstudien zuständige Abteilung der Universität von Sheffield geschickt, die noch nicht geantwortet hatte …
Das war es! Ihr Ehemann. Laut den Gerüchten war er Universitätsdozent. Dass sie im Syke tätig war, ließ darauf schließen, dass er an einer der Universitäten in Yorkshire eine Anstellung hatte. Ich hatte angenommen, dass er im selben Fachbereich wie sie lehrte, aber warum sollte das so sein?
Wenn ich Recht hatte … doch zuerst wollte ich es nachprüfen.
Mir fiel dazu kein leichterer Weg ein als der unmittelbarste.
»Ich nehme an«, sagte ich, »dass Ihnen wohl Ihr Ehemann von meiner Bewerbung erzählt hat. Und Sie haben ihm dann von mir erzählt. Komisch. Sind denn im Fall von verurteilten Schwerverbrechern die Verschwiegenheitspflicht des Arztes und dessen priesterliche Verantwortung gegenüber dem Patienten außer Kraft gesetzt?«
Einem gewöhnlichen Fischzug hätte sie sich vielleicht entwinden können, hier jedoch wurde eine Handgranate in hohem Bogen ins Wasser geworfen.
Sie gab ihr Bestes, doch trieb sie vom Start weg mit dem Bauch nach oben.
»Nein, wirklich, nichts Schlimmes«, sagte sie und strahlte mich mit ihren vollen Lippen und einem »Alle Neunmalklugen vereinigt euch«-Lächeln an. »Nur eine der kleinen Koinzidenzen des Lebens. Jay, das ist mein Mann, ist zufällig im Vorsitz des Ausschusses, der sich mit diesen Dingen befasst, und zufällig hat er erwähnt, dass sich einer aus Chapel Syke beworben hat …«
Ein erfahrener Vernehmungsbeamter wie Sie hätte sofort die Symptome erkannt: zu viele »
zufällig«
, Ausflüchte, mit denen sie die Tatsache verschleiern wollte, dass sie, wenn sie hier fertig war, sofort nach Hause eilte und munter mit ihrem Lackaffen von Ehemann drauflos plauderte und von den witzigen Dingen erzählte, die ihr ihre durchgeknallten Patienten anvertrauten, Scheiß auf die Schweigepflicht, vielleicht ließ sich damit auch die Gesprächsrunde am Essenstisch mit kleinen Anekdoten auflockern, die sie von unseren mühsam der Seele abgerungenen Beichten geklaut hatte.
Einen Augenblick lang war ich richtiggehend empört, bis mir einfiel, dass das meiste, was ich ihr erzählte hatte, sowieso Mist war und eher den Hintern denn die Seele bloßlegte.usatz
»Nun«, sagte ich, »das trifft sich gut. Vielleicht könnten Sie mir ja einen kleinen Hinweis geben, wie meine Bewerbung aufgenommen wird, nachdem sie sich anscheinend unendlich lang Zeit nehmen, mir eine direkte Antwort zukommen zu lassen. Ich habe schon überlegt, ein Wörtchen mit dem Gefängnisinspektor zu reden. Er macht um die Rechte der Strafgefangenen immer einiges Geschrei.«
Da hatte sie einiges zum Nachdenken. Lord Threlkeld, unserer Oberinspektor, muss Ihnen ja vertraut sein. Ich wette, er gehört zu den Lieblingsfeinden der alten Rumpelwampe, ist berüchtigt für sein weiches Herz und freut sich über jeden handfesten Fall von Amtsmissbrauch seitens der Polizei oder des
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