Die Launen des Todes
durchbrochen war.
Verzweifelt wandte ich mich von der Burg ab und spähte angestrengt in den dichten Wald hinein.
War das die Rettung? War es eine boshafte Täuschung? Eine Sekunde lang sah ich ein fernes Licht! Dann war es verschwunden. Ob willkommener Empfang oder Irrlicht, es war alles, was ich hatte, weshalb ich in seine Richtung stürmte, auch wenn es bedeutete, dass ich die zur Orientierung dienende Burgmauer hinter mir lassen und in den Wald hineinlaufen musste; ich schlitterte hin und her, versank in den tiefen Schneewehen, rief »Help! Help!«, dann, als ich mich daran erinnerte, wo ich mich befand,
»Zu Hilfe! Zu Hilfe!«
Schließlich und endlich stürzte ich kopfüber flach in eine Wehe. Als ich mich aufrichtete und mich umsah (durch die aufgerissene Wolkendecke kam ich in diesem Moment in den Genuss des vollen Mondscheins), erkannte ich, dass ich mich auf einer Lichtung befand. Darin stand ein Gebäude. Eine Sekunde lang hoffte ich, es könnte sich um die Quelle des Lichts handeln, das ich gesehen hatte, doch als ich mich näherte, stellte es sich als die Ruine einer Kapelle heraus. Seltsam, wie mächtig die menschliche Einbildungskraft doch sein kann, nicht wahr? Man könnte meinen, die schiere physische Furcht, in dieser unwirtlichen Landschaft vor Kälte und Erschöpfung umkommen zu können, würde jeglicher metaphysischen Angst keinen Platz mehr gewähren. Bei näherer Betrachtung des Gebäudes aber wurde mein Gefühl der körperlichen Qual und Gefahr völlig von abergläubischem Entsetzen überlagert! Es war nicht nur meine postromantische schlotternde Reaktion auf eine düster-romantische Ruine in wilder, abgeschiedener Landschaft. Nein, was mich trotz der Temperatur in Schweiß ausbrechen ließ, war das, was im Inneren der Kapelle an die Wände gemalt war. An vielen Stellen hatte sich vollständig der Verputz gelöst, weite Bereiche des Freskos waren von Rissen durchzogen, der Farbauftrag kräuselte und platzte ab, doch es gab keinen Zweifel, was der Künstler hier dargestellt hatte.
Den Totentanz.
Ein Thema, grässlich genug, denken Sie sich wahrscheinlich, und keines, auf das ein Bursche in der Situation des jungen Fran unbedingt stolpern müsste, aber warum berührte es ihn gar so sehr?
Die Antwort lautet: Die schrecklichste Szene in Beddoes’
Jest-Book
, in der der Herzog seine Frau von den Toten auferwecken möchte, stattdessen aber den ermordeten Wolfram auferstehen lässt, spielt vor einer Kirchenruine, in deren Klostergang der Totentanz abgebildet ist. Meine Suche nach Beddoes hat mich an diesen Ort geführt, und nun schien er auf seine typisch sardonische Art zu sagen:
Willst du mich sehen, klar und deutlich, dann nimm den Weg in diese Richtung!
Ich weiß, es klingt töricht. Schließlich habe ich, anders als der Herzog, keinen ermordeten Rivalen, dessen Wiederauferstehung ich zu befürchten hätte, oder?
Und in jedem Fall sagte mein von Gott mir gegebener Verstand, wie er es auch schon Beddoes gesagt hatte,
Geister, sie sind nicht aufzuwecken, aus Todesgründen ist kein Weg zu finden!
Ach, wenn es ihn nur gäbe! Was würde ich nicht alles dafür tun, um den armen Sam wiederzuerwecken. Aber welcher Horror, wenn mir statt Sam … ein weniger willkommener Revenant gegenübersteht!
Wie unsinnig das alles doch im hellen Tageslicht erscheint.
Doch dort im dunklen Wald, nah bei der Kapellenruine, ich muss es gestehen, Mr. Pascoe, verließen mich alle Unschuld und Vernunft, und ich schloss die Augen und sprach ein Gebet.
Als ich sie öffnete, sah ich, dass ein Gott mich erhört hatte. Ob es sich jedoch um jenen im christlichen Himmel oder einen aus dunkleren, kälteren, nordischen Gefilden handelte, vermochte ich noch nicht zu sagen. Das Licht, das ich bereits erblickt hatte, zeigte sich wieder. Und es kam näher! Ich konnte es mit Unterbrechungen zwischen den Baumstämmen sehen, wo es sich schlängelnd fortbewegte, jetzt sichtbar, jetzt von den langen, geraden Fichtenstämmen verdeckt, ein heller Lichtkreis, der größer wurde, je näher er kam, und mich an die Lichtsphäre erinnerte, die in
Der Zauberer von Oz
auf die Ankunft von Glenda verweist.
Ein glücklicher Vergleich, denn als es – von meinem wohl nahezu hysterischen Geschrei geleitet – aus dem Wald auf die Lichtung kam, erkannte ich, dass es sich um den Frontscheinwerfer eines dieser Schneemobile handelte, und obwohl die bebrillte, in einen Pelz gewickelte Gestalt, die rittlings darauf saß, völlig geschlechtslos
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