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Die Launen des Todes

Die Launen des Todes

Titel: Die Launen des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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sacht. Ich versuchte durch den Schneeflockenvorhang zu spähen. Alles, was ich erkannte, waren die undeutlichen Umrisse von hohen Fichten, Stamm neben Stamm.
    Der Schweinepriester hatte mich mitten im Wald ausgesetzt!
    Entsetzt fuhr ich herum. Und mit unendlicher Erleichterung erkannten meine Augen, die sich mittlerweile an die Dunkelheit gewöhnt hatten, die festen und kantigen Konturen eines Gebäudes. Ich ließ meinen Blick nach links schweifen und erspähte kein Ende. Rechts dasselbe. Ich beugte mich nach hinten, sah nach oben und erspähte durch den schwebenden Schleier der Schneeflocken Türme und Wehrgänge.
    Fichtenburg!
    »O mein Gott!«, sagte ich laut.
    Von meinem Schuldeutsch war fast nichts mehr übrig, aber ich glaubte mich zu erinnern, was
Fichten
und was
Burg
bedeuteten.
    Ich hatte angenommen, es würde sich lediglich um einen Fantasienamen handeln, den Lindas Kumpel ihrem Ferienchalet verpasst hatten. Ich hätte es besser wissen müssen.
    Fichtenburg
war genau das, was der Name sagte – eine von Fichten umgebene Burg!
    Und, was noch schlimmer war, anscheinend eine verlassene Burg.
    Ich fühlte mich wie Herr Roland, der zum finstern Turm geht und sich dabei fragt, ob das alles wirklich eine so tolle Idee sei, und begab mich zu einem Tor, das dem Anschein nach den Haupteingang des Gebäudes bildete. Es bestand aus schweren Eichenplanken, die durch massive Eisenplatten zusammengehalten wurden, und war ganz offensichtlich von jemandem entworfen worden, der keinen Wert darauf legte, dass die Verwandten unerwartet bei ihm vorbeischauten.
    Von einem der granitenen Türpfosten hing, an einer Kette hängend, ein runder Metallklumpen. Ich zog daran. Nach einer Weile und so fern, als ertönte sie aus einer anderen Welt, war eine Glocke zu hören.
    In einem romantischen Schauerroman oder der
Goon Show
würde man nun erwarten, langsam schlurfende Schritte zu vernehmen, die immer lauter würden, je näher sie kamen.
    Ich war beinahe froh, als meine angestrengt lauschenden Ohren nichts davon vernahmen.
    Doch nur beinahe, denn die Möglichkeit, dass es sich bei allem um ein Missverständnis handelte und ich nicht erwartet wurde und niemand da war, der mich begrüßen würde, nahm nun bedrohliche Ausmaße an. Mein Wissen über die Schweiz speiste sich vor allem aus der Literatur des frühen neunzehnten Jahrhunderts, in der sie als Sammelsurium hoch aufragender Berge, gewaltiger Gletscher und verschneiter karger Landschaften fungierte. Seit dem Flughafen hatte ich wenig gesehen, was diesen Eindruck hätte korrigieren können. Auch wenn ich meiner Einbildungskraft den Rücken kehrte und an den gesunden Menschenverstand appellierte, fiel die Antwort kaum vertrauenerweckender aus. Leute, die Burgen bauten, taten dies kaum in Schlagweite von Nachbarn, an die sie sich wenden konnten, wenn sie ein Fass siedenden Öls borgen wollten, falls ihnen das ihre ausgegangen war.
    Statt durch den Schnee zu trotten und um Hilfe zu suchen, bliebe mir nur die Möglichkeit einzubrechen.
    Nun, bei einem durchschnittlichen Vororthäuschen muss man dazu (so versicherte mir mein Bekanntenkreis im Syke) normalerweise nur den Ellbogen durch die Glasscheibe stupsen und ein Kellerfenster öffnen.
    Eine durchschnittliche Burg allerdings ist von anderem Kaliber. Die einzigen Fenster, die ich vorerst im Schneetreiben erkennen konnte, lagen weit außer Reichweite meines Ellbogens und waren durch Gitter geschützt.
    Es wäre leichter gewesen, ins Chapel Syke einzubrechen!
    Blieb mir nur die Hoffnung, dass es bei einem Bauwerk dieser Größe hinten an der Rückseite vielleicht ein Bedienstetenquartier gab, das voller Leben und Wärme und in dem der Fernseher so laut aufgedreht war, dass man die Türglocke nicht hörte. Solche hoffnungsvollen Fantasien umwölken einen schwer, wenn man verzweifelt ist. Jedenfalls war es vorzuziehen, sich in Bewegung zu setzen, als an Ort und Stelle zu verharren und sich zu Tode zu frieren.
    Ich ging an der Vorderfassade entlang und dann an der Seitenmauer der Burg, folgte den Windungen und Biegungen an den Ecken und Laibungen, bis ich nicht mehr die geringste Ahnung hatte, ob ich mich vorn, seitlich oder an der Rückseite befand! Es hatte aufgehört zu schneien, allmählich begann die Wolkendecke aufzureißen, die nun einen gelegentlichen Blick auf den fast vollen Mond freigab. Sein Licht aber brachte wenig Trost, zeigte sich doch, dass das massive, abweisende Steingemäuer nur von dunklen, vergitterten Fenstern

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