Die Laute (German Edition)
dem Zoll zu tun?«
»Du spionierst deinem Vater hinterher?«, kritzelt Asis auf den bereitliegenden Block.
»Ich würde eher sagen, ich passe ein wenig auf ihn auf!«, entgegnet Said.
44
»Ich fühle mich wie ein Gefangener hier«, schreibt er im Jahr seiner Ankunft an seine Mutter. War es nicht das, was er am meisten bewunderte und zu sein wünschte: ein Verbannter, ein Sträfling?
»Mein Leben hier ist ein wirklicher Alptraum. Ich spüre, wie ich rasend schnell alt werde, bei dieser hirnlosen Arbeit, in Gesellschaft von Wilden und Idioten.
Den ganzen Tag habe ich unter dem mehlfarbenen Himmel gelitten, der seinen erstickenden Staub in feuchtes Milchglas gießt. Er heizt auf mit einer Rücksichtslosigkeit, die berührt, ohne ihn zu rühren, ihn, der uns seinen Rücken zugekehrt hat. Wir müssen härter werden.
Hier ist der Himmel weiblich. Ein Mädchenname. Ist das der Grund, warum sie sich verschleiern müssen?
Die Erde ist grau und verbrannt bis in die blinden Farben des Gesteins hinein, nicht nur von der Sonne, sondern von innen heraus, erkaltetes Magma, Tuffgestein.
Aden. Eden. Paradiesgarten. Hier erschlug Kain seinen Bruder Abel. Die Undurchsichtigkeit des Himmels provoziert den Mord, jeden Mord.«
Dann bricht die Hölle los. Es ist wie ein Erdbeben, näher als beim vorangegangenen Mal, Explosionen, Gewehrsalven, in unmittelbarer Nähe des Hauses.
Asis lässt das Buch fallen. Sein Herz schlägt voller Panik. Die dumpfen Erschütterungen dringen durch alle seine Knochen bis unter das Schädeldach. Es klingt wie ein andauerndes Donnergrollen, und er selbst im Zentrum des Unwetters. Er denkt an den Blitz.
Plötzlich erlischt die Lampe. Er tastet nach dem Lichtschalter, kippt ihn mehrmals hin und her, doch es bleibt dunkel.
Er zieht sich an, geht zu Saids Bett, findet es leer vor. Auch im Korridor funktioniert das Licht nicht. Im Dunkeln tastet er sich die Treppe hinauf aufs Dach. Nach einer kurzen Pause setzt das dumpfe Beben wieder ein, noch heftiger als zuvor, erschüttert das ganze Haus. Es ist wie im Krieg, denkt Asis. Und seine Panik nimmt zu.
Said steht am Rand der Terrasse und blickt über die Hausdächer Craters. Im ganzen Viertel scheint der Strom ausgefallen oder abgestellt zu sein. Asis stellt sich neben Said und folgt seinem Blick. Said weist auf das Verlagsgebäude von
Al-Ayyam
, nur zwei Blöcke von ihrem Haus entfernt. Es steht nicht in Flammen, doch ist im Mondlicht eine Wolke weißgrauen Staubs über dem Gebäude zu sehen.
»Die Armee beschießt es«, erklärt Said mit den Händen. Intuitiv macht er die richtigen Gebärden. »Sie versucht, das Gebäude zu stürmen. Doch die Verlagsangestellten leisten Widerstand.«
Asis nickt. Er hat die Erklärungen Saids verstanden, aber nicht den Sinn dessen, was hier in der Altstadt gerade geschieht. Warum beschießt die Armee die Redaktionsräume einer Zeitung, und das mit schweren Waffen, mitten in der Stadt? Er weiß,
Al-Ayyam
ist eine Zeitung des Südens, eine Oppositionszeitung, die der Wiedervereinigung kritisch gegenübersteht und viele Leser hier in Aden hat. Doch können kritische Zeitungsartikel bereits ein ausreichender Grund sein, um Verlagsgebäude in Grund und Boden zu schießen?
Sicher wird es wieder Tote geben. Um diese Zeit werden Zeitungen doch gedruckt, damit sie am Morgen in den Kiosken liegen. Und in den Nachbarhäusern sind die meisten Bewohner daheim, es ist mitten in der Nacht. Hat man sie vorgewarnt? Hat man sie rechtzeitig evakuiert? – Asis bezweifelt es.
Er zittert. Obwohl es trotz der nächtlichen Stunde nicht kalt ist und nur ein leichter Wind weht.
»Lass uns zurück ins Haus gehen«, sagt Said, nimmt Asis Hand und geht voran.
Asis versucht, seiner Panik Herr zu werden. Er ist doch sonst kein ängstlicher Mensch! Aber das Zittern will nicht aufhören.
»Rück mal zur Seite!«, fordert Said seinen Zimmergenossen auf und legt sich neben Asis. Saids Haut ist noch kühl von der Nachtluft, und Asis’ Herzschlag wird langsam ruhiger, als Said seinen Arm um ihn legt und er die behütende Hand seines Freundes auf seiner schweißnassen Brust spürt, auch wenn die Erschütterungen weiter andauern.
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Akram Salah Aiub unterbricht mit aller ihm möglichen Strenge die Diskussionen seiner Schüler über die Vorgänge in der vergangenen Nacht. Natürlich hat er eine eigene Meinung dazu. Doch vergisst er nicht, dass es die Regierung in Sanaa ist, die ihm sein Lehrergehalt zahlt. Er setzt seinen Unterricht fort, als sei
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