Die Laute (German Edition)
regierung, bei den drei dörfern habe es sich um ausbildungslager von terroristen gehandelt.
weißt du, welche dörfer es erwischt hat?
du willst wissen, ob am hadidah darunter war? tut mir
leid, asis. seit mehreren stunden sind alle telefon- und
internetverbindungen nach aden unterbrochen.
Die meisten Menschen brauchen die Musik nicht, weil sie auch ohne sie mit sich und der Welt zufrieden sind oder ihre Lage durch die Musik zumindest nicht verbessert sehen. Die Musik brauchen nur die wenigen, denen es besonders dreckig geht.
Die Heilung von der Krankheit des Lebens wäre auch eine Heilung von der Musik. Denn das ist doch das Eigentliche, was wir im Leben erhoffen: Heilung. Musik ist nur ein Symptom unseres fehlenden Mutes, den Kampf um ein Quäntchen Lebensglück aufzunehmen. Musik ist die Pest, die unsere Sinnesorgane befällt. Und unsere Sinnesorgane sind nicht stark genug, aus eigener Kraft diese Seuche zu überwinden.
Jede Übersetzung unserer potenziellen Taubheit ins Metaphorische ist lächerlich und vergeblich, weil Teil dieser Pest. Sie lenkt uns nur von der genauen, buchstäblichen und diesseitigen Verwirklichung unserer Bedürfnisse ab. Musik ist der fade Ersatz für Ungelebtes.
Auch wenn die Musik alle Fesseln ihrer eigenen Regelhaftigkeit sprengen würde, wäre damit noch keine einzige unserer körperlichen Begrenztheiten gesprengt. Der lebendige Mensch unterwirft sich nicht den Gesetzen der Musik. Und ohne Gesetze gäbe es die Musik nicht. Nur der Tote glaubt, er könne von ihr zu neuem Leben erweckt, und der Kranke hofft, er könne durch sie geheilt werden. Aber die Musik kennt kein Erbarmen mit dem Menschen. Sie nimmt dem unglücklichen noch die allerletzte Kraft, sich selbst zu retten.
Erneut reißt das Lichtzeichen mich aus meinen Gedanken, ungeduldig, aufdringlich. Was ist denn heute los, am todlangweiligsten Tag des Jahres? Wochenlang ist es nur die Katze von Jasmine Szcupłośka, die ihre Spuren vor und an meiner Wohnungstür hinterlässt, doch heute ist es bereits der zweite Besucher an einem Tag.
Nein, es ist ein und derselbe Besucher zum zweiten Mal, und, entgegen seinem ausdrücklichen Versprechen, erneut unangekündigt und uneingeladen.
Ohne meinen Unmut zu verbergen, öffne ich Rafał die Tür. Rafał achtet nicht weiter auf mein mürrisches Gesicht. Er zieht sein Notizbuch aus der Innentasche seines Mantels und schreibt: »Ich wollte dir nur mitteilen, dass Adam Twardowski einen zweiten Schlaganfall erlitten hat.«
Ich brauche einen Augenblick, um zu begreifen, was das bedeutet. Und trotzdem fällt mir nicht mehr ein, als zu fragen: »Wann?«
»Am Nachmittag. Er liegt im Wojskowi-Szpital. Vielleicht willst du ihn ja noch einmal besuchen, bevor es dazu zu spät ist.«
Zehn Jahre lang war er mein Lehrer. Seit drei Monaten habe ich nicht mehr bei ihm vorbeigeschaut, ohne jede Entschuldigung. – Verlegen stehen wir da, die Köpfe voller chaotischer Gedanken, ohne dass wir uns etwas zu sagen wüssten.
»Komm, gehen wir etwas essen!«, gebärdet Rafał schließlich, intuitiv mit den richtigen Gesten.
»Und Adam?«
»Heute drängelt sich die ganze Familie um sein Bett. Warte ein paar Tage, bis er wieder ansprechbar ist.«
Wenn er sich denn noch einmal soweit erholen sollte. Er war ja bereits halbseitig gelähmt.
»Es ist heute Abend doch alles geschlossen!«, gebärde ich zurück.
»Ich kenne ein Restaurant, das jeden Tag im Jahr geöffnet ist.«
Natürlich kennt er ein offenes Lokal, das hätte ich mir doch denken können.
»Ein chinesisches? Ich habe die Nase voll von Wontonsuppe und Frühlingsrollen.«
»Nein, kein chinesisches!«
Ich fühle mich nicht wohl bei dem Gedanken, einen weiteren komplizierten Abend mit Rafał Singer zu verbringen. Doch Rafał lässt sich nicht beirren.
»Du willst doch nicht den ganzen Abend allein in deiner Wohnung hocken, während der Rest der Welt feiert!«, schreibt er auf sein Kalenderblatt.
»Der christliche Rest. Was habe ich damit zu tun!«, kritzle ich darunter.
»Hier bist du in Polen. Da entkommt man diesen Dingen nicht!«
»Und du? Musst du nicht mit deiner Mutter feiern?«
»Meine Familie feiert kein Weihnachten.«
Immer noch kenne ich sein wahres Gesicht nicht. Ein glücklicher Mensch schreibt keine Serenade für sieben Bleirohre über Tschernobyl. Was hat er sich erkämpfen müssen, von dem ich nichts weiß? Wohlhabendes, gutbürgerliches Elternhaus, Kindheit und Jugend in Zwierzyniec, einem der nobelsten Viertel Krakaus,
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