Die Laute (German Edition)
hätte ich dem Vieh unverzüglich das Fell über die Ohren gezogen und die Reste den Krähen im Hof vorgeworfen. Warum mache ich mir überhaupt die Mühe, mit all diesem Unrat aufzuräumen? Der Uringeruch lässt sich unzweifelhaft der Wohnung von Jasmine S. zuordnen, und da ich nicht annehme, dass Jasmine S. persönlich zwischen zwölf und ein Uhr mittags auf meinem Treppenabsatz ihr Wasser gelassen hat (vollkommen ausschließen kann ich es natürlich nicht), kommt ja nur noch das knochige Katzenvieh als Täter in Frage.
Ich bleibe eine Weile im Treppenhaus stehen, in dem unter den vielen intensiven Gerüchen der Katzengeruch aus der Wohnung Jasmines ganz besonders hervorsticht, und sinne über einen Plan zur Befreiung Persils nach, und sei es auch nur die Freiheit, am allgemeinen Katzenschicksal auf der Straße teilzuhaben. Auch einer Katze müssen alle Türen offen stehen, denke ich. Eine Katze ist doch auch nichts anderes als eine sich selbst und ihresgleichen verachtende Kreatur. Ich werde ihr die Haustür offen halten, damit ihr endlich die ganze Welt offen steht, sie mit ihrem beißenden Urin zu markieren! Wo bist du, Persil? Warum duckst du dich wie ein Hund? Sag nicht, deine Angst sei größer als dein Freiheitsdrang!
VORTRAGSANGABEN
atmende Woge
mikropolyphon
stationär
Binnenleben
Tontrauben
syllabisch
schwebend
Wortbrocken
schmelzend
punktuell
Reihe
Kurzzeitgedächtnis
irrationaler Raum
Einbahnstraße
Passagen
Transit
Schichtungen
Impulse
Rauschen
Filter
Kontakt
Rückkopplung
Ring
Mantra
Râga
Âdân
Tonwolke
Galaxie
stochastisch
Kugelraum
geschichtet
körperhaft
flächig
dünnhäutig
attackierend
Marsyas zittert am ganzen Leib. Seine Augen sind weit aufgerissen, die Adern an seinem Hals drohen zu platzen, er öffnet den Mund, als wolle er schreien oder etwas sagen, doch nicht einmal ein unterdrücktes Stöhnen dringt hinaus.
Mit einem fast zärtlichen Schnitt öffnet Apollon den Hodensack des Fauns. Dann vollführt er eine knetende Handbewegung, als melke er einen Ziegeneuter, bis zuerst das größere Ei in einer blutverschmierten Hülle aus weißem Fett oder Talg herausgleitet und am Samenstrang neben der freigelegten Eichel baumelt, dann das etwas kleinere Ei mit einer Art gelblicher Nachgeburt aus Nebenhoden und Blutgefäßen.
Apollon nimmt die beiden Hoden in die linke Hand, schneidet die Versorgungsstränge durch und steckt sich das zähe, pansenartige Fleisch wie zwei Cocktailkirschen in den Mund.
Die Götter interessieren sich für Dinge, wir Menschen uns für die Zeit.
Hier, im Wettstreit, geschieht Konkretes: Instrumente und Werkzeuge kommen zum Einsatz, erzeugen Klänge und Geräusche, die nicht erst erkundet werden müssen. Flöte, Laute, Schächtmesser, Stimmen, Schreie, Stöhnen, Jaulen, Winseln. Eine der Musen ist dick und groß und leidet an Asthma und einer Faunhaarallergie. Bekommt einen akuten Anfall von Schnappatmung während Marsyas’ Spiel. Als Apollons Vortrag beginnt, reißt sie sich zusammen.
Eine Musenschwester, Kalliope, zieht einen Inhalator aus ihrer Handtasche. Urania sperrt den Mund so weit auf wie eine junge, gierige Amsel und empfängt von Kalliope den Kortisonstoß. Urania ist Atheistin und hat seit Jahren kein Buch mehr gelesen.
Kalliopes Sympathien gehören normalerweise dem einfachen Volk und den Linken. Doch was Männer betrifft, gibt es für sie keine weitere Differenzierung. Alle Männer sind potentielle Chauvinisten. Sie hat nichts dagegen, wenn sie sich gegenseitig abschlachten, so lange sie dabei die Frauen aus dem Spiel lassen.
Klio, Muse der Geschichtsschreibung, verachtet Kalliope, obwohl (oder weil?) sie die ranghöchste ist (oder zu sein glaubt). Klio liebt die Männer. Ohne sie gäbe es keine Kriege, und ohne Kriege keine Geschichte. Normalerweise lebt sie allein, besitzt viele Bücher, die sie auch liest, aber wenig Freunde.
Euterpe ist die Muse des Flötenspiels und vermutlich die einzige, die nicht von Anfang an Marsyas gegenüber voreingenommen ist. Sie wirkt etwas mollig und rosiger als ihre Schwestern, eine freundliche Wirtin, die auch kurz vor dem Feierabend ihren Gästen zum Abschied noch eine gute Nacht wünscht.
Terpsichore, die Muse der Lyra und der Kithara, erzählt gerne Witze. Meistens handeln sie vom männlichen Geschlecht. Auch während der Schindung des Fauns kann sie das Scherzen nicht lassen. Wie sieht dein Traummann aus? Segelohren und platter Schädel. – Dabei blickt sie vielsagend auf
Weitere Kostenlose Bücher