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Die Laute (German Edition)

Die Laute (German Edition)

Titel: Die Laute (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Roes
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den kopfunter an den Platanenästen hängenden Satyr. Warum das? Damit man ihn gut im Griff hat und sein Bier irgendwo abstellen kann während des Cunnilingus.
    Kalliope, die Erste unter den Gleichen, will Terpsichore in ihrem Einfallsreichtum nicht nachstehen und fragt: Wie definiert man biologisch einen Faun?
    Verlegenes Schweigen.
    Als Schaf in einem Wolfspelz!, ruft sie mit schriller Stimme und liefert das Gelächter gleich nach.
    Und da ist noch die Muse Erato, die für den Tanz und die Liebesdichtung zuständig ist und immer ein wenig amtlich wirkt, so als trüge sie eine Uniform, auch wenn man darunter eine tief verborgene Sehnsucht nach Glück und Ausgelassenheit vermuten darf. Sie stimmt nicht in Kalliopes Gelächter ein, verzieht nicht einmal das Gesicht.
    GERÄUSCHE sind nicht einfach unstrukturierte Klänge oder dissonante Töne. Sie besitzen ihren eigenen feingegliederten Klangkosmos, eine zufallende Tür, marschierende Schritte, der in den Bahnhof einrollende Zug, unser panisch schlagendes Herz.
    Ich erinnere mich, dass es angenehme und unangenehme Geräusche gibt, angenehm oder unangenehm nicht für alle gleichermaßen. Knisterndes Feuer im Herd war mir in meiner Kindheit ein angenehmes Geräusch, das Fallen des Regens, das Rauschen des Windes, selbst der Donner, dieses riesige Orchester aus Pauken und großen Kesseltrommeln, drohendes Anschwellen, explosionsartiger Ausbruch, rollendes Verklingen, ein Urgeräusch, ihn höre ich noch immer.
    Geräusche sammeln: Beruhigende, die uns versichern, am
    Leben zu sein, Hintergrundatmo unseres Alltags.
    Beunruhigende, die uns aus dem Kontinuum reißen.
MARSYAS
APOLLON
Gurrende Tauben
Kindergeschrei
Meeresbrandung
Pfeifkonzert
Klappernde Teller
Tropfender Wasserhahn
Zikaden
Kreide auf Schiefertafel
Schulklingel
Schüsse
Anfeuerungsrufe
Schulklingel
    MUSEN : Klangtrauben, dröhnende Glockenschläge, raue bewegte Flächen (Waschzuber), Ambulanzsirenen, Geplapper, rauschende Kaskaden, Krähenschreie, kreischende Scharniere, knarrende Dielen
    Räumliche Darstellung: Balken, Punkte, Schraffuren, Wellen
    Geräusche sammeln, quasi ›blind‹, aleatorisch, im Vertrauen auf die sinnstiftende Kraft des Zufalls. Assoziative Zuordnung
    Jedes Geräusch hat eine graphische Gestalt. Elektronische Bearbeitung, bis sich aus dem Geräusch ein Klang kristallisiert. Behauptung einer Synästhesie zwischen geometrischer Figur und musikalischer Gestalt.
    Das Tonband ist nur eine Stimme unter vielen, den Solisten, eher Schauspieler als Sänger, dem Chor, den Maschinen. Garagenoper
    Anweisung an die Solisten (
Marsyas, Apollon
…): Gestalte den Ton, als ob du beliebig viel Zeit und Raum hättest!
    Singe, als sei dein Gesang für Wesen von einem anderen Stern bestimmt!
    Bringe jeden einzelnen Ton mit einer besonderen Sorgfalt und Liebe hervor, denn jedes einzelne Teilchen ist wesentlich für das lebendige Ganze.
    Es muss keine Stille herrschen, bevor Musik erklingen kann. Manchmal ist sie Teil der Hintergrundgeräusche, Kaufhaus-, Fahrstuhl-, Radiomusik. Manchmal steigt sie aus aufbrandendem Applaus oder aus Flughafenlärm auf und spielt sich in den Vordergrund. Manchmal ist es auch nur unser Ohr, das sie aus all den Alltagsgeräuschen herausfiltert und ihr eine besondere Bedeutung, die Bedeutung von Musik gibt.
    Stille. Selbst mich beunruhigt es, wenn es vollkommen still ist, keine Vibrationen, keine bebenden Bässe, keine Erschütterungen. Wir brauchen eine Hintergrundatmo, wie das Neugeborene den Herzschlag der Mutter braucht, um Sicherheit zu verspüren, die Sicherheit, nicht allein zu sein. Deswegen reden wir von Totenstille.
    Die Zeit ist ein Geräusch. Wenn es still ist, steht auch die Zeit still.
Pausa lunga
.
    Doch nur in diesen Augenblicken der Stille lässt sich nachdenken.
Lungo silenzio
. Für diesen eingefrorenen Moment scheint es, als habe die Musik den Weg verloren. Wie soll es nun weitergehen?
    Ein ganz neuer Klang will von mir gehört werden, leise, verwischt, aus dem Nichts angeblasen, kaum lauter als mein eigener Atem, nur in absoluter innerer Stille hörbar. Die Klangmaschine in meinem Kopf produziert, Mikrointervalle, leisestes Echo, Geflüstertes in extremen Registern. Wie soll ich diese Klänge am Rand des Hörbaren notieren, umsetzen, für andere zum Klingen bringen?
    Eislandschaft, Tundra, Permafrost irgendwo an den Ausläufern des Nichts, nicht absolut still, immer noch knistert das Eis, doch der Schnee dämpft und verändert selbst das Knistern.
    In diesen

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