Die Laute (German Edition)
zum Festmahl am Abend herzlich eingeladen sei.
So sitzt er nun als bartloser Jüngster zwischen all den graubärtigen Familienoberhäuptern des Dorfes im Mafradsch des Scheichs. Hafis und die anderen jungen Männer sind nicht eingeladen. Und selbst die Söhne des Scheichs betreten den Diwan nur, um die Speisen aufzutragen oder die leeren Schüsseln abzuräumen.
Nach dem üppigen Mahl, während dem alle – bis auf den Gouverneur – der Sitte nach geschwiegen haben, wendet sich der hohe Gast aus Lahadsch direkt an den Scheich und fragt ihn ganz undiplomatisch, was denn an den Geschichten, die man sich über die Frauen von Am Hadidah erzähle, wahr sei.
Scheich Abdul Rahman übersetzt die Frage in Gebärden, und alle Männer im Mafradsch blicken gespannt der Antwort des Scheichs entgegen.
Er erzählt seine Geschichte zweisprachig, mit den Lippen und den Händen: »Ja, es gab tatsächlich einmal eine mächtige Frau im Dorf, die berühmte ’Umm Banum. Sie war die Witwe des damaligen Scheichs und hatte ihm nur Töchter geboren. Aber sie wollte das Amt nicht aus der Familie geben. Also saß sie den Stammesversammlungen vor, hörte sich still die Vorschläge der Familienoberhäupter an und tat am Ende ihre Entscheidung kund. Rieten die alten Männer, die Herden aus dem Wadi auf die Bergweiden zu treiben, ehe die Regenzeit begänne, befahl sie, das Vieh im Tal zu lassen, es sei noch Zeit. Zwei Tage später ertrank die Hälfte des Viehbestands in den Fluten, die sich innerhalb weniger Augenblicke durch das enge Wadi wälzten.
Forderten die Männer, einen Teil der Ernte in dorfeigenen Speichern einzulagern, um für eine unerwartete Dürrezeit vorzusorgen, kündigte ’Umm Banum ein dreitägiges Fest an, auf dem alle Dorfbewohner auf Kosten der Gemeinschaftsvorräte zechen durften. Einen Monat später machte ein Heuschreckenschwarm auf den Feldern Am Hadidahs Rast und hinterließ einen kahlgefressenen Wüstenboden.
Eines Tages verlangte sie, die schönsten Kamelstuten des Dorfes zu schlachten und aus ihren Fellen Sandalen anzufertigen. Die Männer wussten nicht ein noch aus. Sie schlachteten niemals ihre Kamele, es sei denn, in Zeiten größter Not.
Sie versammelten sich am Dorfrand ohne die Dorfälteste, beredeten das Für und Wider, doch kamen zu keinem Einvernehmen. Endlich kam Khalid, ein Waisenjunge, vom Feld, grüßte die Männer höflich und fragte, was sie so bedrücke.« – Der Scheich unterbricht seine Erzählung für einen Moment und wechselt einen raschen Blick mit Asis. Ist es jugendlicher Schalk, der Asis aus den Augen des Scheichs entgegenblitzt?
»Die meisten Alten beachteten den Jungen gar nicht und tauschten weiter ihre ratlosen Gebärden aus«, setzt der Scheich mit Worten und Gesten seine Erzählung fort. »Doch einer der Jüngeren berichtet Khalid von dem neuen Befehl ’Umm Banums. Was sollen wir nur tun? klagte er.
Obwohl der Mann diese Klage eher an sich selbst als an den Waisenjungen richtete, dachte Khalid ernsthaft darüber nach. Schließlich sprach er: Grabt eine tiefe Grube hier unter dem Baum, legt einen edlen Teppich darüber und ladet ’Umm Banum zu eurer Versammlung ein.
Die Männer schauten sich überrascht an. Dann nickte ein jeder, und sie taten, was der Junge ihnen riet. Sie gruben ein tiefes Loch, verstreuten die Erde in den Gärten, legten einen Teppich aus Isfahan über das Loch und sandten einen Boten zum Haus der Scheicha.
’Umm Banum ließ die Männer lange warten, aber schließlich kam sie, neugierig, was es zu besprechen gebe. Als sie den Ehrenplatz auf dem Teppich einnehmen wollte, fiel sie in die Grube, brach sich das Genick und wurde daselbst liegengelassen und begraben. Der Platz unter der alten Terebinthe heißt bis heute
hufrah ’amiqat al ’umm banum
, das tiefe Loch von ’Umm Banum.«
Der Gouverneur aus Lahadsch ist dieser Erzählung mit großem Ernst gefolgt. Nun sagt er, und Scheich Abdul Rahman übersetzt: »Das ist eine gute Geschichte. Frauen haben im Rat der Männer nichts zu suchen!«
Die alten Familienoberhäupter lächeln und nicken zustimmend.
53
»Als ich hierher versetzt wurde, kam ich mir am Anfang ziemlich dumm vor. Die Dorfbewohner sprachen miteinander, machten irgendwelche Gebärden, schauten mich freundlich an, oder auch verärgert, wütend, ungeduldig, und ich verstand nichts von dem, was hier doch jedes Kind versteht. Es war mir wirklich peinlich, dass ich nichts verstand.«
Idir al-Qaru ist der Dorfschullehrer. Asis und Hafis
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