Die Laute (German Edition)
plötzlich im Mittelpunkt des Gesprächs, nichts zu erwidern weiß.
»Man hätte junge Männer aus dem Dorf zu Lehrern ausbilden müssen, die alle Kinder gemeinsam und zweisprachig hätten unterrichten können«, gebärdet einer der Alten in die Reglosigkeit.
Asis weiß viel zu wenig von den Lebensumständen hier, um sich an dem Gespräch zu beteiligen. Außerdem ist er müde und hungrig. Die Datteln schmecken zwar köstlich, vermutlich stammen sie aus den dorfeigenen Palmenhainen, durch die sie auf ihrer Hinfahrt gekommen sind, denkt er, aber sie machen eher noch hungriger, als dass sie wirklich sättigten.
Als hätte der Herr des Hauses seine Gedanken lesen können, wird nun ein so üppiges Festessen aufgetragen, wie er es zwar aus Geschichten kennt, aber selbst noch nicht erlebt hat. Er schaut Hafis fragend an. Hafis nickt. Ja, ihretwegen habe man sogar ein Schaf geschlachtet, um sie als Gäste willkommen zu heißen. – Mit einem Schlag vergeht Asis der Appetit. Wie kommt er, der taube Flickschusterjunge aus Ibb, zu dieser Ehre!
Asis fragt Hafis nach dem Abort. Hafis macht eine unbestimmte Geste in die Ferne, dann steht er seufzend auf und bittet Asis, ihm zu folgen. An der Haustür drückt er ihm eine Taschenlampe in die Hand, die hier an der Tür wohl für dergleichen Fälle hängt. »Pass auf, wo du hintrittst!«, gebärdet Hafis lächelnd.
Als Asis ins Freie tritt, ist er überrascht von der Kälte. Zwar ist es dunkel zwischen den Häusern, auf den Steinen aber glitzert Raureif im Taschenlampenlicht. Der Himmel ist wolkenlos, und die Schwärze so voller Sterne, wie er sie in der feuchten Luft Adens nie gesehen hat. Es gibt keinen Fingerbreit, der nicht von kleinen strahlenden Punkten übersät ist. Und jeder dieser Punkte ist eine Sonne, weiß er. Denkt man sich die unzähligen Planeten dazu, gäbe es wohl keine leere Stelle mehr am Nachthimmel.
Er leuchtet auf den Weg vor sich, unsicher, wohin er sich wenden soll. Vor seinem Mund bildet sein Atem kleine Wölkchen, als befände sich eine kleine Wäscherei in seinem Kopf.
Er geht um das Haus herum und einige Schritte auf die Palmengärten zu. Die Taschenlampe wirft einen fahlen, milchigen Kreis auf die struppigen Stämme. Dann sagt ihm seine Nase, dass er den richtigen Ort gefunden hat. Doch als er sich hinhocken will, springt aus dem dunklen Hain ein großer Hund hervor. Asis sieht die tränenden Augen und die gelben Zähne im Lichtkegel seiner Lampe. Er hebt einen Stein auf.
Der Hund reißt jaulend das Maul auf und verschwindet zwischen den Palmenstämmen, obwohl Asis den Stein immer noch in der Hand hält und noch nicht einmal zum Wurf ausgeholt hat.
Von den Häusern her kommt Hafis auf ihn zu. Womöglich hat er sich bereits Sorgen gemacht. Nun lächelt er Asis an und gebärdet: »Einer unserer Dorfhunde. Sie kennen dich noch nicht!«
51
Die Männer von Am Hadidah sind Krieger wie alle Kabilen im Jemen. Sie verlassen ihre Häuser nicht ohne ihren Krummdolch und ihre Pistole im Gürtel und ein Gewehr auf dem Rücken. Die älteren Männer tragen noch einen
Futah
, den traditionellen Rock, der vom Gürtel mit dem Krummdolch gehalten wird, darüber inzwischen aber ein modernes Jackett und an den Füßen Sandalen. Einige der Jüngeren und die Kinder tragen wie die Kinder in der Stadt Hosen, T-Shirts, Basecaps und Sportschuhe. Sie legen nur noch zu besonderen Anlässen die traditionelle Kleidung an.
Die Frauen im Dorf sind unverschleiert. Fahren sie zum nächstgelegenen Markt oder begegnen sie einem Fremden, benutzen sie die Enden des Kopftuchs, um damit einen Teil ihres Gesichts zu verhüllen. Doch schon am zweiten Tag zählen sie Asis nicht mehr zu den Fremden. Sie tragen rotbraune und ockerfarbene Gewänder und verbergen darunter nicht, wie die Städterinnen unter ihrer schwarzen
Abaja
, die neueste europäische Mode. Natürlich putzen auch sie sich für Besuche oder Feste gern heraus, aber in traditioneller Weise, mit altem schwerem Goldschmuck und Hennaornamenten auf den Handrücken und Unterarmen. Sie scheinen Asis die wahren Hüter der Tradition zu sein.
Die Männer preisen, wie auch sonst in den Stammesgebieten, Mut und Tapferkeit und achten auf ihren guten Ruf. Sie sind zäh und ausdauernd, wenn sie ihre Herden zu weit entfernten Weideplätzen treiben. Und sie sind unerbittlich, wenn sie ihre Tiere gegen Angreifer oder Räuber verteidigen.
In den seltenen Gesprächen mit Dorffremden nicken sie bedächtig, wenn man ihnen sagt, Frauen seien
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