Die Laute (German Edition)
Regionen des Südens. Außer den Dattelpalmen mit ihren metertiefen Pfahlwurzeln gedeihen Pflanzen hier nur mit künstlicher Bewässerung. Die Tagestemperaturen liegen nun, im August, weit über vierzig Grad. Die Bewohner sind vor allem auf ihre Ziegen- und Schafherden angewiesen und halten die wenigen kargen Weideplätze geheim. Aber die Weiden sind nicht das einzige Geheimnis der Bewohner von Am Hadidah.
Die Farben verändern sich mit dem Tageslicht. Am Mittag erscheinen die Berghänge manchmal so leuchtend weiß, als seien sie aus Salz, so dass Asis geblendet die Augen schließen muss. Frühmorgens schimmern sie rosa und rostig, und die Häuser ragen wie violette Stümpfe aus der rotverkrusteten Erde. Der Abend färbt das Tal dann von einem Dunkelrot zu einem geronnenen Schwarz. Asis ist sich nicht sicher, welche Farben wirklich zu den Dingen gehören und welche allein vom Stand der Sonne und der Hitze erzeugt sind.
Nachmittags bilden sich auf den kargen Hochebenen manchmal kleine Windhosen, die im Wadi ihre Kraft verlieren, die Palmblätter und das Fell der Tiere gelb einstäuben und die Atemwege all jener verstopfen, die nicht rechtzeitig in ihren Häusern Zuflucht gefunden haben. Dem Staub Herr zu werden, ist eine der größten Herausforderungen der Am Hadidah-Frauen. Jeden Tag klopfen sie auf den Dächern die Teppiche aus und fügen den vom Wind aufgewirbelten Staubwolken ihren eigenen Staubregen bei.
Trotz der knirschenden Sandkörner zwischen den Zähnen, in den Ohren, der Nase und zwischen den Zehen riecht die Luft hier, vor allem am frühen Morgen, bevor die Frauen zu backen beginnen, nach starkem schwarzen Tee mit frischen Minzblättern, findet Asis. Der Sand schmeckt salzig, und die Trockenheit setzt den Schleimhäuten so sehr zu, dass Asis’ Nase bereits am zweiten Tag seines Aufenthalts im Wadi Dschauda zu bluten beginnt und er die Verkrustungen in seinen Atemwegen und den Nebenhöhlen bis zu seiner Rückkehr ins feuchtschwüle Aden nicht mehr los wird.
Es gibt nur einen einzigen kleinen Lebensmittelladen in Am Hadidah. ›Lebensmittel‹ ist womöglich übertrieben, denn frisches Obst oder Gemüse bietet der Krämer in dem kleinen, nur am frühen Morgen und am späten Nachmittag geöffneten Holzverschlag nicht an. Stattdessen Konserven, Nudeln, Zucker, Reis, Putz- und Waschmittel, Seifen und Süßigkeiten. Für größere Einkäufe fährt einmal in der Woche Hafis’ Vater mit einem Pick-up die vierzig Kilometer bis Am Sawad, wo es jeden Freitag einen großen regionalen Markt gibt. Asis kann sich nicht vorstellen, wovon die Dorfbewohner gelebt haben, bevor es die Asphaltstraße nach Am Sawad gab. Getrocknete Datteln, Ziegenmilch und Schafskäse? Und Bohneneintopf am Morgen, am Mittag und am Abend?
Noch immer gibt es hier nur
Ful
und
Chubs
zum Frühstück. Asis hasst diese braune, zerkochte Bohnenpampe und das Fladenbrot, das nach Holzkohle und Asche schmeckt. Aber für die Menschen, die früh morgens mit der Arbeit im Palmgarten beginnen oder weite Strecken zu den Viehherden zurückzulegen haben, wären Cornflakes oder eine Scheibe Toast, so viel hat er inzwischen begriffen, keine ausreichende Grundlage.
Trotzdem erhofft er eine gewisse Abwechslung im Speiseplan, als er von dem erwarteten Gast hört. Der Provinzgouverneur, Hakim al-Schakawi, ein Neffe des Präsidenten, hat seinen Besuch in Am Hadidah angekündigt. Es wäre das erste Mal, dass ein Gouverneur diesen abgelegenen und erst seit kurzem mit einem Automobil erreichbaren Ort aufsucht. Aber natürlich waren immer schon viele seltsame Geschichten über Am Hadidah im Umlauf, gerade weil es so abgeschieden lag und man nichts Genaues von seinen Bewohnern wusste. Einige davon sind sicher auch ans Ohr des Gouverneurs in Lahadsch gedrungen. Obwohl sich mit dem Straßenbau und den neuen Stromleitungen auch in Am Hadidah das Leben grundlegend verändert hat, hofft der Besucher wohl, das eine oder andere Gerücht bestätigt zu finden. Warum sollte er sonst den immer noch langen und recht beschwerlichen Weg in dieses ansonsten vollkommen unbedeutende Dorf auf sich nehmen?
Asis kann weder aus den einzelnen Gesichtern, noch aus der allgemeinen Stimmung herauslesen, ob sich die Dorfbewohner nun auf diesen Gast freuen oder seinen Besuch eher als Belästigung auffassen. Immerhin wird schon am Morgen im Haus des Scheichs mit den Vorbereitungen eines Gastmahls begonnen. Und Scheich Abdul Rahman lässt durch Rauf, seinen Sohn, ausrichten, dass auch Asis
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