Die Laute (German Edition)
steifen Schritten, als seien wir schon wund zwischen den Beinen. Die Paten schauen ernst und sprechen nicht, aber die anderen Männer lächeln und machen anzügliche Bemerkungen, deren Sinn wir mehr erahnen als verstehen. Doch schon bald werden wir wissen, was sie gemeint haben; werden wir selber Männer sein.
Der Diwan ist voller Zigarettenrauch. Der Imam fordert uns auf, unsere Gedanken auf den Himmel zu richten. Ich blicke zur Diwandecke, der beißende Qualm treibt mir die Tränen in die Augen. Der Imam rezitiert mit singender Stimme Koranverse, mein Onkel schweigt, die anderen Männer rauchen und setzen ungerührt ihre Gespräche fort.
Mein Cousin ist der erste. Er schreit, nicht laut, aber jeder im Diwan hat es gehört. Sein Vater, mein Onkel, der mit hartem Griff meine Hand hält, schämt sich für seinen Sohn, auch wenn sein Mund lächelt. Seine Augen blicken zornig.
Dann setzt er mich auf den Stuhl, stellt sich hinter mich und legt seine Hände auf meine Schultern. Der Barbier beugt sich über meinen Schoß, sodass ich nicht sehen kann, was er tut. Aber ich spüre es. Er schiebt den Saum der Senna hinauf bis zum Bauch, dann zieht er die Vorhaut meines Gliedes straff. Ein flammender Blitz breitet sich von den Lenden bis in alle Körperenden aus, aber es ist noch nicht vorbei. Mit den Fingernägeln reißt er zurückgebliebene Hautreste vom Penisschaft, so wie eine Köchin das Geflügel rupft. Seine Hände sind blutverschmiert. Ich sehe das Blut, einen See von Blut, in den sich mein Schmerz mischt.
Der Barbier legt mir ein Tuch um, mein Onkel hilft mir aufzustehen. Als ich wieder klar denken kann, finde ich mich in meinem Bett wieder. Es ist dunkel um mich herum und offenbar schon Nacht. Ich habe Durst, aber ich kann nicht aufstehen. Sobald ich mich bewege, flammt der Schmerz auf, als würde Benzin ins Feuer gegossen. Ich bleibe liegen, mein Mund trocken wie die Wüste.
Da ich ohnehin nicht schlafen kann, versuche ich, Said zu erreichen. In Bridgeport ist es nicht einmal Mitternacht. Vielleicht sitzt er ja noch an seinem Computer.
Nur mit Said bin ich in Verbindung geblieben. Ein Chat im Internet ist einfach und bequem. Meine Schwestern würden mich womöglich gar nicht mehr erkennen. Ich sehe anders aus, bewege mich anders, ja rieche sogar anders. Zehn Jahre in der Fremde verändern einen Menschen stärker als dieselbe Zeit in der Heimat. Ich müsste ihnen erst den jungen Asis in Erinnerung rufen, den sie früher einmal auf dem Rücken getragen haben, ehe er selbst laufen konnte, und, sobald er es konnte, auch sogleich seine eigenen Wege ging, die eines Jungen, der nicht um Erlaubnis fragt, wenn er das Haus verlässt, und sich zu Hause nur blicken lässt, wenn er Hunger hat, und dann rasch wieder verschwindet.
hi, habibi. wo steckst du?
im internetcafé in bridgeport, wo sonst!
ist doch schon mitten in der nacht bei euch!
ja, fast mitternacht. mein üblicher 15 stundentag.
in europa ist es jetzt sechs uhr morgens, oder?
warum bist du schon auf?
noch auf, habibi. bin gerade von meiner nachtschicht
am flughafen nach hause gekommen und kann nicht
gleich ins bett gehen. – wie läuft denn das geschäft?
wenn es gut liefe, müsste ich nicht 15 stunden
hier sitzen, sondern könnte mir einen angestellten
leisten. wer geht denn heute noch ins internetcafé?
findest du mit deinem uni-abschluss
keinen besseren job?
seit 9/11 ist es verdammt schwer, qualifizierte jobs zu
finden. zumindest in den bereichen softwareprogramme
und datenverarbeitung. ich muss froh sein über
die paar penner, die hierher ins warme fliehen.
mal wieder was von zuhause gehört?
vater gehts gut. schreibt er zumindest. und
onkel fuad gehts auch gut. und wenn es anders
wäre, würden sie es mir sicher nicht mailen.
in den letzten tagen häufen sich ja
die schlechten nachrichten.
du meinst, die demonstrationen? die hat
es doch schon immer gegeben.
ich meine die toten.
warte, muss mal eben abkassieren. dann
mache ich den laden für heute dicht.
Hier in Polen liest man selten Nachrichten aus dem Jemen, es sei denn, westliche Ausländer sind betroffen. Dabei steht das Land wie kaum ein anderes am Abgrund. Es trocknet buchstäblich aus. Die Großstädte müssen bereits aus weit entfernten Regionen durch Tankwagen mit Wasser versorgt werden, und womöglich noch in diesem Jahrzehnt wird das Grundwasser im ganzen Land erschöpft sein. Ein Land, das kaum die eigene Bevölkerung ernähren kann, das mindestens zwei Millionen
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