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Die Laute (German Edition)

Die Laute (German Edition)

Titel: Die Laute (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Roes
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International. Internationale Flüge gehen gerade mal in die Nachbarländer.
    Mit den Päckchen und Paketen ist es im Grunde noch einfacher. Alle europäischen Sendungen gehen zunächst nach Köln / Bonn, auch wenn sie auf direktem Weg viel schneller in Berlin oder Prag wären. Aber in Köln / Bonn befindet sich nun mal das europäische Verteilerzentrum. Auf jedem Kontinent unterhält UPS einen
Hub
, eine Drehscheibe, sodass wir nicht viel zu sortieren haben: Inland, Ausland; wenn Ausland, dann Köln / Bonn, Louisville (Kentucky), Miami, Taipei oder Pampanga auf den Philippinen.
    Wenn man nachts auf dem Flughafen ankommt, merkt man nicht einmal, dass es der Flughafen ist. Das Terminalgebäude steht unbeleuchtet da, die Abfertigungshalle wirkt wie ein stillgelegtes Parkhaus, und der Vorplatz hat gerade mal die Größe einer Bushaltestelle. Alles ist von einer unglaublichen Tristesse, denn es gibt außer einem wirklichen Parkhaus, das man auch für die Abfertigungshalle halten könnte, nichts Urbanes hier in der Wildnis. Die Zufahrtstraße ist schmal und dunkel. Ein Ortsunkundiger würde diesen Flughafen nie finden.
    Das einzige Leben zwischen Mitternacht und vier Uhr morgens findet im Luftfrachtgebäude statt. Bei UPS sind es zehn bis zwölf Mitarbeiter pro Schicht. Bei den zwei oder drei Konkurrenten nicht viel mehr. Wir haben es vor allem mit Privatkunden zu tun, kleine Sendungen, Einzelstücke. Für landwirtschaftliches oder industrielles Frachtgut sind die anderen Firmen zuständig, da findet der Sortiervorgang dann palettenweise mit dem Gabelstapler statt. Bei uns bleibt das Sortieren überwiegend Handarbeit. Man braucht eine gewisse Ausdauer und vor allem ein gutes Auge, weil sich immer noch viele handgeschriebene Adressen darunter befinden. Und so intelligent sind die Lesegeräte noch nicht, dass sie uns schon vollständig ersetzen könnten.
    Wenn ich nachts aus dem Bus steige, ist auf der Zufahrtstraße und vor dem Flughafen keinerlei Verkehr mehr. Die Arbeitskollegen kommen erst in gut einer Stunde. Warum sollten sie auch früher kommen und mit mir stumm in der Dunkelheit hocken, wo doch kein Fahrplan sie dazu zwingt? Die Nacht hier ist so einsam und still wie in einem abgelegenen Karpatendorf mit den letzten dort zurückgebliebenen Alten um diese Zeit.
    Wenn es nicht gerade regnet oder schneit oder klirrender Frost herrscht, genieße ich diese dunkle Stunde des Wartens sehr. Ich versuche, an den kalten Mast einer der Peitschenlampen gelehnt zu lesen oder entziffre auch nur mit derselben manischen Buchstabierlust, mit der ich mich in Aden infiziert habe, die Flughafenschilder: PRZYBYCIE / ARRIVAL; KAPLICA / CHAPEL; DO CENTRUM / TO THE CITY CENTER; ZAKAZ PALENIA / NO SMOKING …
    Zuerst treffen die Vietnamesen ein, fünf zartgliedrige Männer in einem Fiat Panda. Dann die zwei älteren polnischen Kollegen, zuletzt die zwei jüngeren.
    Die jüngeren Polen unterscheiden sich nicht wesentlich von den vietnamesischen Arbeitern oder mir. Ab fünfundzwanzig aber wachsen polnische Männer unweigerlich in die Breite. Doch wer diese Mitarbeiter bereits für dick hält, hat die Beamten der Flughafenpolizei noch nicht gesehen. Dort beginnt der Untersetzungsprozess offenbar schon mit dem Verlassen der Ausbildungskaserne. Am Anfang dachte ich noch, eine besonders robuste Art kugelsicherer Westen sei für diesen Cinemascope-Effekt verantwortlich, bis mir ein polnischer Kollege erklärte, dass es zwischen schimmelpilzgrünem Hemd und mehlfarbener Haut nichts gebe, zumindest keine Kevlarweste.
    Bei aller Beleibtheit haben meine älteren Kollegen sich ihren fast kindlichen Humor bewahrt. Es ist erst wenige Wochen her: Maciek bringt dem stillen Hu ein kleines Päckchen mit. Es gibt keinen besonderen Anlass für dieses ›Geschenk‹, das hätte Hu bereits stutzig machen müssen. Doch freundlich wie immer nimmt er die in altes Weihnachtspapier gewickelte Schachtel entgegen und packt sie, umringt von den polnischen Kollegen, behutsam aus, ohne das Papier zu zerreißen. Dann faltet er das Papier zusammen, gibt es Maciek zurück und öffnet die Schachtel, eine quadratische Konfektbox aus Pappe, auf der das Preisschild noch klebt. Mich überrascht der Inhalt nicht. Und wenn Hu überrascht sein sollte, lässt er sich nichts anmerken. Mit einem höflichen Nicken bedankt er sich bei Maciek.
    Ein wenig verunsichert von der undurchschaubaren Miene des Vietnamesen erklärt Maciek, was jeder von uns bereits auf den ersten Blick begriffen

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