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Die Laute (German Edition)

Die Laute (German Edition)

Titel: Die Laute (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Roes
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ansingen, während hinter den Kulissen schon die Mörder lauern, oder ein Gott und ein Silen sich trällernd bekämpfen und am Ende der Sieger buchstäblich in die Haut des Verlierers schlüpft, ist exzentrisch. Je näher die Oper ihrer eigenen Parodie kommt, umso näher ist sie ihrem eigenen Wesen.
    Einen Moment schauen sie sich an, als würden beide noch schlafen, und jeder wäre ein Teil des Traums des Anderen. Der eine lehnt an der Motorhaube seines Sportwagens und raucht und schaut in den Himmel, der sich allmählich rötet. Die Dämmerung erinnert ihn an eine fleischfressende Pflanze. Nur ein einziges Mal blickt er zum Anderen hinüber.
    Der Andere steht am Fenster und beobachtet den Fremden, ein Bulle in Zivil, ein Beschatter. Durch das Fenster wirkt die Szene wie ein Film. Das Zimmer ist dunkel, doch streifig von den schmalen Lichtsplittern, die durch die Aluminiumlamellen der Jalousien dringen. In seinen Augenwinkeln bilden sich Fältchen. Er kneift die Augen zusammen, als er in die aufgehende Sonne schaut.
    FÜNFTES BILD : DIE HÄUTUNG
    Apollon lässt sein Dolchgrinsen aufblitzen. Kalte, zementfarbene Haut. Nibelungenhaarschnitt. Einer, der so etwas seinem Haar antut, ist zu allem fähig
.
    MARSYAS
    Was hast du vor
    APOLLON
    Was am tiefsten im Menschen liegt
    Ist seine Haut
    MARSYAS
(summt, accellerando)
    Panzer Stigma Farbe Fläche Transparenz
    Enthäuten Schälen Liften Piercen Tätowieren
    Saugen Bleichen Bräunen Röten Branding
    Psoriasis Poren Pigmentflecken Muttermale
    Narben Schweiß Warzen Pickel Mitesser
    Haare Schürfwunden Schnitte Verbrennungen
    Tasten Ätzen Erfrieren Fassade Hülle Folie
    Leinwand Prospekt Antlitz Interface
    APOLLON
    Selbst das, was unser Gehirn menschlich macht
(lacht)
, ist die äußere Schale, die Rinde.
    Unser Wesen befindet sich nicht im Zentrum, sondern an der Peripherie.
    Beim Embryo (beim menschlichen, versteht sich) bilden sich Haut und Gehirn aus derselben Membran.
    MARSYAS
    Ich verstehe was du sagen willst mein
    Gott die Haut ist das Bewusstsein
    Meiner Seele nun vergleiche den Satyrpelz
    Warmer weicher Flaum mit deiner kalten
    Makellosen Marmorhaut
    CHOR DER MUSEN
    Nun fühlt begreift und seid ergriffen
    Wie mit Haut und Haar er liebt verliert
    Und doch die eigne Haut noch retten will
    Wie er sie zu Markte trägt aus ihr heraus
    Fährt sich in ihr nicht wohl fühlt und
    Doch nicht in der Haut des andren stecken will
    →Hautmusik fürs Hautich: Trommeln
    Apollon zieht ein Klappmesser und lässt die Klinge herausspringen. Dann sinkt er auf die Knie und beginnt zu weinen, zunächst zurückhaltend, dann immer verzweifelter. Schließlich lässt er schwach stöhnend sein Wasser laufen, es sickert durch die Hose und tropft auf den Bühnenboden. Urintränen.
    Marsyas steht wie angewurzelt da (Erle) und sieht dem erbärmlichen Schauspiel schweigend zu.
    Plötzlich springt der junge Gott auf und zertrümmert die Gipsstatuen der Musen. Es riecht nach Gipsstaub und Pisse, während Apollon die Gipsbrocken zerstampft. Ein Bruchstück, eine ockerfarbene Frauenhand, kickt er weit hinein in den Zuschauerraum.
    APOLLON
    Und nun zu deiner frevelnden verwegenen
    Lose lustig braven ehrlich dicken alten
    Gutmütigen Haut oder sollte ich in deinem Falle
    Sagen Fell nun kannst du das Zu Markte
    Tragen an deiner eignen Haut erfahren
    MARSYAS
    Aus fremder Haut ist gut der Riemen schneiden
    An dem du selbst dich reißen solltest
    APOLLON
    Betrachte meine Strafe als Befreiung
    Aus dem Hautsarg dem lebenslangen
    Leichensack
    MARSYAS
    So nimm ihn denn den Schandbalg
    Unter meiner Haut steckt wenigstens noch
    Warmes Fleisch
    …
    MARSYAS
    Du weißt mein Gott was es bedeutet
    In mein Hauthaus einzudringen
    Ein Wort nur und du hättest alle Türen
    Angelweit geöffnet vorgefunden
    Nun stoß in den noch jungfräulichen Schoß
    Des Marsyas dein Messer oder gilt das
    Flötenspiel bereits als Raub der Unschuld
    …
    So stich schon zu und schneid und zieh
    Mich von mir selber ab nichts als Wunde
    Blut und rohes Fleisch noch zuckend nackt
    Ja mehr als nackt und du kein Gott ein
    Pathologe nekrophil bind mich von der
    Platane ab und lege mich auf die Sezierbank
    Bin dir doch kein Mensch mehr sondern nur
    Objekt unspielbare Flöte nun denn blas
    Mich jetzt
    CHOR DER MUSEN
    Vergiss die Lider nicht Apoll häut auch die
    Augen Gott die Eichel und die Zunge
    Aufgerissen klaffen sie Entsetzen in den
    Höhlen Muskelstränge freigelegte
    Nervenbahnen zucken und pulsieren
    Lebendiger als je vor dem Verbluten

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