Die Laute (German Edition)
ansingen, während hinter den Kulissen schon die Mörder lauern, oder ein Gott und ein Silen sich trällernd bekämpfen und am Ende der Sieger buchstäblich in die Haut des Verlierers schlüpft, ist exzentrisch. Je näher die Oper ihrer eigenen Parodie kommt, umso näher ist sie ihrem eigenen Wesen.
Einen Moment schauen sie sich an, als würden beide noch schlafen, und jeder wäre ein Teil des Traums des Anderen. Der eine lehnt an der Motorhaube seines Sportwagens und raucht und schaut in den Himmel, der sich allmählich rötet. Die Dämmerung erinnert ihn an eine fleischfressende Pflanze. Nur ein einziges Mal blickt er zum Anderen hinüber.
Der Andere steht am Fenster und beobachtet den Fremden, ein Bulle in Zivil, ein Beschatter. Durch das Fenster wirkt die Szene wie ein Film. Das Zimmer ist dunkel, doch streifig von den schmalen Lichtsplittern, die durch die Aluminiumlamellen der Jalousien dringen. In seinen Augenwinkeln bilden sich Fältchen. Er kneift die Augen zusammen, als er in die aufgehende Sonne schaut.
FÜNFTES BILD : DIE HÄUTUNG
Apollon lässt sein Dolchgrinsen aufblitzen. Kalte, zementfarbene Haut. Nibelungenhaarschnitt. Einer, der so etwas seinem Haar antut, ist zu allem fähig
.
MARSYAS
Was hast du vor
APOLLON
Was am tiefsten im Menschen liegt
Ist seine Haut
MARSYAS
(summt, accellerando)
Panzer Stigma Farbe Fläche Transparenz
Enthäuten Schälen Liften Piercen Tätowieren
Saugen Bleichen Bräunen Röten Branding
Psoriasis Poren Pigmentflecken Muttermale
Narben Schweiß Warzen Pickel Mitesser
Haare Schürfwunden Schnitte Verbrennungen
Tasten Ätzen Erfrieren Fassade Hülle Folie
Leinwand Prospekt Antlitz Interface
APOLLON
Selbst das, was unser Gehirn menschlich macht
(lacht)
, ist die äußere Schale, die Rinde.
Unser Wesen befindet sich nicht im Zentrum, sondern an der Peripherie.
Beim Embryo (beim menschlichen, versteht sich) bilden sich Haut und Gehirn aus derselben Membran.
MARSYAS
Ich verstehe was du sagen willst mein
Gott die Haut ist das Bewusstsein
Meiner Seele nun vergleiche den Satyrpelz
Warmer weicher Flaum mit deiner kalten
Makellosen Marmorhaut
CHOR DER MUSEN
Nun fühlt begreift und seid ergriffen
Wie mit Haut und Haar er liebt verliert
Und doch die eigne Haut noch retten will
Wie er sie zu Markte trägt aus ihr heraus
Fährt sich in ihr nicht wohl fühlt und
Doch nicht in der Haut des andren stecken will
→Hautmusik fürs Hautich: Trommeln
Apollon zieht ein Klappmesser und lässt die Klinge herausspringen. Dann sinkt er auf die Knie und beginnt zu weinen, zunächst zurückhaltend, dann immer verzweifelter. Schließlich lässt er schwach stöhnend sein Wasser laufen, es sickert durch die Hose und tropft auf den Bühnenboden. Urintränen.
Marsyas steht wie angewurzelt da (Erle) und sieht dem erbärmlichen Schauspiel schweigend zu.
Plötzlich springt der junge Gott auf und zertrümmert die Gipsstatuen der Musen. Es riecht nach Gipsstaub und Pisse, während Apollon die Gipsbrocken zerstampft. Ein Bruchstück, eine ockerfarbene Frauenhand, kickt er weit hinein in den Zuschauerraum.
APOLLON
Und nun zu deiner frevelnden verwegenen
Lose lustig braven ehrlich dicken alten
Gutmütigen Haut oder sollte ich in deinem Falle
Sagen Fell nun kannst du das Zu Markte
Tragen an deiner eignen Haut erfahren
MARSYAS
Aus fremder Haut ist gut der Riemen schneiden
An dem du selbst dich reißen solltest
APOLLON
Betrachte meine Strafe als Befreiung
Aus dem Hautsarg dem lebenslangen
Leichensack
MARSYAS
So nimm ihn denn den Schandbalg
Unter meiner Haut steckt wenigstens noch
Warmes Fleisch
…
MARSYAS
Du weißt mein Gott was es bedeutet
In mein Hauthaus einzudringen
Ein Wort nur und du hättest alle Türen
Angelweit geöffnet vorgefunden
Nun stoß in den noch jungfräulichen Schoß
Des Marsyas dein Messer oder gilt das
Flötenspiel bereits als Raub der Unschuld
…
So stich schon zu und schneid und zieh
Mich von mir selber ab nichts als Wunde
Blut und rohes Fleisch noch zuckend nackt
Ja mehr als nackt und du kein Gott ein
Pathologe nekrophil bind mich von der
Platane ab und lege mich auf die Sezierbank
Bin dir doch kein Mensch mehr sondern nur
Objekt unspielbare Flöte nun denn blas
Mich jetzt
CHOR DER MUSEN
Vergiss die Lider nicht Apoll häut auch die
Augen Gott die Eichel und die Zunge
Aufgerissen klaffen sie Entsetzen in den
Höhlen Muskelstränge freigelegte
Nervenbahnen zucken und pulsieren
Lebendiger als je vor dem Verbluten
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