Die Laute (German Edition)
Störgeräusche, keinen unverständlichen Lärm.
Ghufran indessen starrt der Frau unverwandt auf ihren rotgeschminkten Mund. Ohne den Blick abzuwenden, schreibt er: »Slow please, Miss!« – Ghufran kann mit seinen strahlenden Augen selbst die Krähen auf den Strommasten zum Singen bringen.
»Sie können einen Flug nach London buchen und von dort mit einer amerikanischen Airline weiterfliegen«, erklärt die Yemenia-Angestellte.
»Yes, London«, schreibt Ghufran. »Twelfe tickets please, Miss!«
Kopfschüttelnd, aber immer noch lächelnd liest sie Ghufrans Anweisung. Sie blickt sich suchend um. Schließlich fällt ihr Blick auf Akram. Eigentlich sieht er zu jung aus, um hier der Verantwortliche zu sein. Doch sonst entdeckt sie niemanden, der ihr vielleicht erklären könnte, was hier gerade gespielt wird.
Akram erwidert ihren Blick und nickt ihr lächelnd zu. Dann drängt er sich nach vorne und erklärt ihr, dass es sich um seine Schulklasse handle und seine Schüler gerade versuchten, ihre Englischkenntnisse in der Praxis anzuwenden.
Die Yemenia-Angestellte scheint von Akrams Erklärung nicht wirklich besänftigt, auch wenn sie weiter lächelt. Noch weniger sind es seine Schüler. Er steht zwar mit dem Rücken zu ihnen, doch haben sie im Gesicht der Angestellten gelesen, dass sie nun Bescheid weiß. Sie werfen einander verärgerte Blick über diesen Spielverderber zu, drehen sich zur Halle um und lassen ihren Lehrer einfach alleine vor dem Schalter zurück.
Geschlossen marschieren sie zur Passkontrolle. Hier gibt es keine rotgeschminkten Lippen und kein Lächeln. Der Uniformierte mit den in Stein gemeißelten Gesichtszügen winkt zwei Kollegen vom Eingang zu sich. Gemeinsam verstellen sie der Gruppe Heranwachsender den Weg und bitten sie, nein: fordern sie auf, ihre Ausweise vorzuzeigen.
»English please, Misses!« – Ghufran greift der Bequemlichkeit halber auf den schon bereits zum Einsatz gekommenen Zettel zurück. Aber kein verzauberter Augenaufschlag antwortet ihm. Womöglich sind die Englischkenntnisse des Uniformierten noch beschränkter als jene von Akrams Klasse, oder, schlimmer noch, er hat Ghufrans Gekrakel entziffern können.
Nun hält Akram es doch für angebracht, sich als Lehrer dieser Jungenschar zu erkennen zu geben. Aber auch ihm wird kein verständnisvolles Lächeln geschenkt. »Ihre Papiere bitte!« fordert das Steingesicht ihn mit barscher Stimme auf. Er notiert sich Akrams Namen und gibt ihn über sein Funkgerät an die Flughafenwache weiter.
Will man uns verhaften?, witzeln die Jungen in Gebärdensprache. Eine Exkursion in den Knast, irre! Besser als Fernsehen! Nein, wir sind ja nur taube Affen. Aber Akram werden sie ins Gefängnis stecken! Was hat er angestellt? Er hat die Käfigtüren geöffnet und uns auf die Menschen losgelassen. Fast hätten wir es ins Flugzeug nach New York geschafft! Ja, und Schande über unser Land gebracht: Delegation jemenitischer Affen in New York gelandet und unerlaubt die Fassade des Empire State Buildings hinaufgeklettert. Ihr wisst ja, was solch ungebetenen Fassadenkletterern blüht!
Die Gebärde für Affe war Asis noch unbekannt, aber sie braucht keine weitere Erklärung, so lebensecht wirkt sie. – Auch die Polizisten verstehen einiges von dem, was sich vor ihren Augen abspielt, sind aber alles andere als amüsiert. Ihre versteinerten Gesichter spornen Asis’ Kameraden zu komödiantischen Höchstleistungen an, vergeblich. Achselzuckend geben sie ihrem Lehrer einen Stoß, nehmen ihn in ihre Mitte und treten den Rückzug an. Die protestierenden Worte des Grenzschützers ignorieren sie, was ihnen nicht weiter schwer fällt. Sie schauen die uniformierten Männer einfach nicht mehr an, ziehen sich hinter die Maske ihrer Behinderung zurück, die ja immer dann ganz nützlich ist, wenn es unerfreulichen Auseinandersetzungen aus dem Weg zu gehen gilt.
Asis aber ist empört. Nein, denkt er, das wird er niemals tun, den anderen das vorspielen, was sie von ihm erwarten, lieber bis zum Hals in Schwierigkeiten stecken, als auf Grund seiner Taubheit nicht ernst genommen oder gar bemitleidet zu werden! Nichts soll ihn entschuldigen! Niemand soll ihn schonen!
34
Plötzlich trifft Asis ein speichelgetränktes Papierbällchen im Nacken. Amir scheint nichts bemerkt zu haben. Hinter ihnen marschieren in einer Wolke aus Zigarettenrauch Abdullah und zwei neue Kumpane. Offenbar hat der Hofhund sich von seinem Herrn getrennt und ein neues Rudel gegründet. Zumindest
Weitere Kostenlose Bücher