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Die Laute (German Edition)

Die Laute (German Edition)

Titel: Die Laute (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Roes
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von seiner Liebe, aber nicht von ihrer Keuschheit.
    Ghufran und Mansur lachen anzüglich und herausfordernd. Sie wollen Beweise für das, was Asis ihnen an Alter und Erfahrung voraus hat. Und Asis spürt, dass er Gefahr läuft, seinen Ruf zu verlieren. Den Ruf des Älteren, des Anführers, der Autorität.
    Er nimmt Amirs Gesicht in seine Hände, hält es ein wenig schräg, wie er es in amerikanischen Filmen gesehen hat, und überlässt das Folgende ganz seinem Körper, da im arabischen Fernsehen das Wichtigste immer ausgeblendet oder herausgeschnitten wird.
    Seine Lippen berühren Amirs Lippen, während sie sich immer noch gegenseitig anstarren. Die Augen zu schließen bedeutet für einen Gehörlosen, das Gespräch zu unterbrechen. Aber sie fühlen im selben Augenblick, dass es seltsam ist, sich mit offenen Augen zu küssen. Die Lippen können sich mitteilen, ohne sprechen zu müssen. Für diesen Austausch braucht man die Augen nicht.
    Asis schmeckt den Wodka auf Amirs Lippen. Er hätte gern gewusst, wie Amir schmeckt. Aber der Alkohol überdeckt jedes andere Aroma.
    Amir öffnet ein wenig seinen Mund. Plötzlich spürt Asis die Zunge seines Freundes zwischen seinen Lippen. Und einen neuen Geschmack, immer noch vom Alkohol vergiftet, aber doch ganz deutlich zu Amir gehörend. Er gibt einen Spalt frei und berührt Amirs Zungenspitze mit seiner eigenen Zunge. Ist das Freiheit? Ist das Revolte?
    Ghufran zupft ihn am Ärmel und zwingt ihn, seine Augen wieder zu öffnen. Das Zusehen hat die Zuschauer offenbar ernüchtert. Während Amir und Asis erröten.
    Ghufran weist auf seine Uhr und erinnert an das Treffen mit der Schulmannschaft im Café Sakran. Sie leeren rasch die Flasche, eher aus Pflichtgefühl als aus Lust, und brechen auf. Weder Ghufran noch Hafis oder Mansur fragen die beiden, wie es gewesen ist. Trotz des Alkohols hat sie das, was sie gesehen haben, in Verlegenheit gebracht. Offenbar sieht es anders aus, als es sich anfühlt, denkt Asis und errötet erneut.
    Aber was ist denn schon passiert? Mag sein, sie haben etwas Verbotenes getan, aber doch nichts Böses! Dass es einen Unterschied gibt zwischen Gesetzwidrigem und Bösem, wird ihm nun, in diesem Zustand des Betrunkenseins, zum allerersten Mal klar. Nicht, dass er nie zuvor etwas Verbotenes getan hätte. Aber immer geschah es im Bewusstsein, etwas Böses zu tun und sich dafür schämen zu müssen oder zu Recht bestraft zu werden. Selbst das ›Ereignis‹ schien ihm in gewissem Sinn gerechtfertigt. Natürlich hat er Nassar und Hamid dafür gehasst, aber nie verurteilt.
    Die Mannschaftskameraden spüren sofort, dass mit ihnen etwas nicht stimmt. Sie wollen wissen, was los ist. Asis hätte seine Freunde ermahnen sollen, ihr Abenteuer für sich zu behalten. Aber nun ist es bereits zu spät. Mit großen Augen und ungläubigen Gesichtern folgen sie Ghufrans Angebereien. Und plötzlich steckt der Rausch sie an, ohne dass sie selbst einen Tropfen getrunken hätten. Sie albern herum, reißen Witze, lachen laut heraus und simulieren ihre Trunkenheit so hemmungslos, dass die anderen Gäste und der Wirt bereits böse Blicke auf sie werfen.
    Der mürrische Wirt hat sie geduldet, solange sie die anderen Gäste nicht belästigten. Aber an diesem Nachmittag sind sie hier in Mannschaftsstärke eingefallen und scheinen außer Rand und Band zu sein. Als das erste Teeglas zu Bruch geht, eilt er an ihren Tisch, um sie ein letztes Mal zu ermahnen. Dann riecht er den Alkohol.
    Rot vor Zorn beginnt er, sie zu beschimpfen und ihre Gebärden und Laute nachzuäffen. Zunächst sind Asis und seine Kameraden vollkommen überrascht, ja fassungslos über diesen Wutausbruch. Doch dann steht Ghufran auf. Der Alkohol macht ihn mutig, aber auch unbesonnen. Normalerweise sind er und seine Freunde ja friedliebende Menschen. Man hat ohnehin schon genug Schwierigkeiten mit den Hörenden, die sich von ihren Gebärden eingeschüchtert fühlen oder sie für Idioten halten.
    Aber dieses bösartige Schauspiel verletzt ihn. Aufgebracht schießt er einen wütenden Schwall eben jener Laute auf den Wirt ab, über die dieser sich in seinem Qatstumpfsinn gerade erst mokiert hat. Die Gesten, die Ghufrans Laute begleiten, sind nicht weniger aggressiv, und ohne den Wirt zu berühren, haben sie durchaus den Charakter von Handgreiflichkeiten.
    Für einen Augenblick schreckt der Wirt vor Ghufrans Wutballett zurück. Doch dann ergreift er Ghufrans Arm und zerrt ihn vom Tisch fort in Richtung Ausgang. Nun springt

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